Die nächste WTO-Runde: Herausforderung und Chance für die EU-Agrarwirtschaft

STEFAN TANGERMANN

Published: 01.11.1999  〉 Heft 2/1999  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
Submitted: N. A.   〉 Feedback to authors after first review: N. A.   〉 Accepted: N. A.
DOI:
N. A.

ABSTRACT

Das Agrarabkommen der Uruguay-Runde hat Erstaunliches zuwege gebracht: die Welthandelsorganisation (WTO) ist heute ein Faktor, den in der Agrarpolitik jeder einkalkuliert. Wer wußte vor 15 Jahren in der Landwirtschaft Europas schon, was die vier Buchstaben GATT bedeuten? Was in diesem Vertragswerk stand, war für die Agrarpolitik Europas wie auch im Rest der Welt weitgehend unbedeutend und deshalb ohne großes Interesse. Inzwischen hat sich die Lage grundlegend gewandelt: Die WTO ist heute eines der zentralen Themen in Debatten über die Zukunft der Agrarpolitik. Die nächste Runde der WTO-Verhandlungen wird mit Spannung und Sorge erwartet, und die Frage, ob die Agrarbeschlüsse der "Agenda 2000" in den WTO-Verhandlungen Bestand haben werden, ist ein vieldiskutiertes Thema.Was hat diesen Stimmungswandel herbeigeführt? Die Gründe sind vielschichtig und gehen über den eigentlichen Inhalt des WTO-Agrarabkommens weit hinaus. Die Agrarpolitik vieler Länder ist in Fluß geraten. Weltweit vollzieht sich ein agrarpolitischer Paradigmenwechsel, nicht ruckartig, aber doch spürbar. Die staatlichen Eingriffe in die Agrarmärkte werden tendenziell zurückgeführt, und direkte Zahlungen an die Landwirtschaft sind im Vormarsch. Das in der Uruguay-Runde abgeschlossene Agrarabkommen war ein Ausdruck dieser Entwicklung und hat sie gleichzeitig weiter vorangetrieben. Die Agrarverhandlungen der nächsten WTO-Runde werden voraussichtlich einen weiteren Schritt auf diesem Weg darstellen.Es müssen tatsächlich solche eher grundlegenden Faktoren sein, die das Interesse an der WTO wecken, denn ganz konkret schränkt die WTO bisher den Handlungsspielraum der EU-Agrarpolitik noch kaum ein. Die jetzt gebundenen Zölle, die Höchstgrenzen für die heimische Stützung und die Beschränkung der Exportsubventionen sind durchweg in der Uruguay-Runde auf einem so hohen Niveau festgelegt worden, daß trotz der ebenfalls vereinbarten Reduktionsraten in allen diesen Bereichen die EU-Agrarpolitik bisher im wesentlichen noch nicht unter Druck geraten ist. Lediglich die Einschränkung der Exportsubventionen beginnt, bei einigen Produkten Bremsspuren zu hinterlassen. Allerdings ist abzusehen, daß in Zukunft die Bremswirkungen stärker werden, vor allem wenn in der nächsten WTO-Runde weitere Reduktionsschritte vereinbart werden. Insofern ist zu verstehen, daß manche Agrarpolitiker die WTO als eine Bedrohung empfinden.Allerdings sollten zunächst einmal die Chancen gesehen und genutzt werden, die eine neue WTO-Runde bietet, gerade auch für die europäische Agrarwirtschaft. Die EU ist inzwischen in hohem Maße Exporteur von Agrarprodukten. Ihre Agrarwirtschaft muß deshalb großes Interesse daran haben, besseren und sicheren Zugang zu den ausländischen Märkten zu erhalten, auf denen sie verkaufen will. Der amerikanische Markt für Milchprodukte beispielsweise ist für die Exporte der EU noch längst nicht so zugänglich, wie das wünschenswert wäre. Japan läßt noch bei weitem nicht so viel Schweinefleisch aus der EU auf seinen Markt, wie die EU liefern möchte und könnte. Die EU-Exporte an verarbeiteten Nahrungsmitteln werden in vielen Ländern noch immer durch viel zu hohe Zölle behindert. Die nächste Runde der WTO-Verhandlungen bietet die Chance, hier Fortschritte zu machen.Auch in anderen Bereichen kann die nächste Runde zu Ergebnissen führen, die für die EU wichtig und positiv sind. Der Schutz geographischer Herkunftsbezeichnungen ist in der WTO noch nicht gut genug geregelt. Gerade für die EU, die international bekannte regionale Spezialitäten produziert und erfolgreich exportiert, ist es wichtig, hier Fortschritte zu erreichen und sicherzustellen, daß andere Länder solche Produkte nicht kopieren können. Beim Verbraucherschutz unterscheiden sich die Auffassungen in der EU von denen in vielen anderen Teilen der Welt und vor allem in Nordamerika. Das Vorsorgeprinzip gilt in Europa als wichtige Ergänzung von wissenschaftlichen Aussagen zur Unbedenklichkeit von Nahrungsmitteln für Gesundheit und Umwelt. Die nächste WTO-Runde kann dazu genutzt werden, hier Regeln zu vereinbaren, die den europäischen Vorstellungen besser entsprechen. Die Anforderungen des Tierschutzes gehen in Europa oft weit über das hinaus, was andere Länder von ihren Landwirten verlangen. Die jüngsten Beschlüsse zur Käfiggröße für Legehennen sind ein aktuelles Beispiel. Es liegt im Interesse der EU, dafür zu sorgen, daß die internationalen Unterschiede in solchen Regelungen nicht dazu führen, daß die Veredelungsproduktion aus Europa abwandert, denn damit wäre weder der europäischen Landwirtschaft noch dem Tierschutz gedient.Die EU will in der nächsten WTO-Runde aber noch mehr erreichen. Sie legt Wert darauf, daß die "Friedensklausel" über das Jahr 2003 hinaus verlängert wird, damit Subventionen, die im Rahmen der WTO-Agrarregeln bleiben, auch in Zukunft vor Gegenmaßnahmen anderer Länder sicher sind - ein durchaus berechtigtes Anliegen. Gleichzeitig verfolgt die EU das - weniger überzeugende - Ziel, die spezielle landwirtschaftliche Schutzklausel beizubehalten, so daß auch weiterhin bei besonders niedrigen Weltmarktpreisen oder stark zunehmenden Importen Zusatzzölle erhoben werden können. Die EU möchte und sollte dafür sorgen, daß vergünstigte Exportkredite (wie sie in den USA eine erhebliche Rolle spielen) und andere Maßnahmen der Exportförderung den gleichen disziplinierenden Regeln unterworfen werden wie Exportsubventionen. Ein weiteres aus der EU-Perspektive wichtiges Thema ist die Zukunft der "blue box", die es der EU bisher erlaubt, die Direktzahlungen, die seit der MacSharry-Reform eingeführt wurden, von den Reduktionsverpflichtungen für die heimische Stützung auszunehmen. Die EU will während der nächsten WTO-Runde über die Folgen der Ost-Erweiterung verhandeln - ein schwieriges Thema angesichts der Tatsache, daß die WTO-Verpflichtungen im Agrarbereich, welche die Beitrittsländer aus Mitteleuropa mitbringen, überwiegend deutlich enger geschnitten sind als diejenigen der EU, so daß mit den übrigen WTO-Mitgliedsländern Ausgleichsverhandlungen geführt werden müssen.Schließlich wird in der EU immer wieder und mit zunehmender Inbrunst betont, in der nächsten WTO-Runde müsse das "europäische Modell der Landwirtschaft" abgesichert werden. Was damit hinsichtlich der WTO-Agrarregeln konkret gemeint ist, bleibt bisher allerdings im Dunkeln. Wer glaubt, mit Verweis auf die "Multifunktionalität" der europäischen Landwirtschaft in der nächsten Runde erreichen zu können, daß die EU ihre Agrarzölle und Exportsubventionen weniger stark reduzieren muß als andere Länder dieser Welt, wird bald aus seinen Träumen erwachen müssen. Mit den "gesellschaftlichen Leistungen", welche die Landwirtschaft tatsächlich erbringt, kann man bestenfalls direkte Zahlungen, nicht aber Zölle und Exportsubventionen rechtfertigen. Für gezielte Zahlungen dieser Art ist bereits jetzt in der "green box" ein erheblicher Spielraum vorgesehen. Solange nicht präzise gesagt wird, in welcher Hinsicht dieser Spielraum ausgeweitet werden soll, bleibt das "europäische Modell der Landwirtschaft" deshalb eine Leerformel.Wer in Verhandlungen so viel erreichen möchte, wie die EU sich für die nächste WTO-Runde im Agrarbereich vorgenommen hat, muß in der Lage sein, auch auf die Forderungen anderer Länder einzugehen. Im Agrarsektor bedeutet das für die EU, daß sie konstruktiv auf das Verlangen reagieren muß, vor allem Zölle und Exportsubventionen weiter zu reduzieren. Die EU-Agrarminister haben sich Ende September in ihrer - ansonsten deutlich konservativen - Stellungnahme zur nächsten WTO-Runde denn auch folgerichtig bereit erklärt, über weitere Abbau-Schritte zu verhandeln. Besonders groß wird der Druck auf die EU sein, wenn es um Exportsubventionen geht, denn die EU ist in diesem Bereich der bei weitem größte "Sünder". Im Jahr 1995 (dem jüngsten Jahr, für das solche Daten bisher vorliegen) hat die EU immerhin 84% aller Exportsubventionen für Agrarprodukte gezahlt, die weltweit ausgewiesen wurden. Sie muß deshalb darauf vorbereitet sein, daß sich in den Verhandlungen über Exportsubventionen alle Augen auf sie richten werden.Einfacher als zunächst erwartet, könnten dagegen die Verhandlungen über die "blue box" werden. Zwar drängen auch hier die Länder der Cairns-Gruppe auf Abschaffung. Verändert hat sich aber die Lage in den USA. Auch die Amerikaner hatten zunächst für die Beseitigung der "blue box" plädiert, denn sie meinten, diese Regelung nicht mehr in Anspruch nehmen müssen, seit sie 1996 durch den FAIR Act ihre früheren deficiency payments entkoppelt und damit in die "green box" überführt haben. Inzwischen sind allerdings in dieser Hinsicht offensichtlich in den USA Zweifel entstanden, denn die erheblichen Sonderzahlungen, die in den Jahren 1998 und 1999 an die US-Farmer gehen, fallen vermutlich nicht in die "green box".Die wichtigste Frage für die EU wird also in der nächsten Runde sein, in welchem Maße sie bei Exportsubventionen zu einem weiteren kräftigen Abbau, wenn nicht gar zu einer Abschaffung bereit ist. "Agenda 2000", wie in Berlin beschlossen, wird in dieser Hinsicht nicht das letzte Wort der EU bleiben können. Bei Weizen könnte die EU mit der beschlossenen Preissenkung womöglich auf Exportsubventionen verzichten. Bei Futtergetreide müßte dazu noch nachgebessert werden. Bei Rindfleisch und vor allem bei Milch reichen die Berliner Beschlüsse nicht aus, um hinreichend Spielraum für einen weiteren Abbau der Exportsubventionen zu schaffen. Zucker ist wieder einmal von der Reform ausgespart worden. Die EU wird deshalb, obwohl sie in die nächste Runde der WTO-Agrarverhandlungen besser vorbereitet eintritt als in die Uruguay-Runde, erneut das politische Kunststück vollbringen müssen, im Zuge der WTO-Verhandlungen ihre Agrarpolitik ein weiteres Mal zu reformieren.

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Prof. Dr. STEFAN TANGERMANN, Institut für Agrarökonomie der Georg-August-Universität Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 5, D-37073 Göttingen
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