Bio-Energie: Fragen über Fragen

Stefan Tangermann

Published: 03.07.2007  〉 Jahrgang 56 (2007), Heft 5/6  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

Nicht nur die Länge von Röcken wandelt sich mit der Mode – auch in der Politik gibt es Modewellen. Zurzeit wird das Thema Bioenergie heiß gehandelt. Man könnte fast versucht sein zu kalauern, dass an manchen Orten die Regierungen mehr politische Energie in die Förderung nachwachsender Rohstoffe aus landwirtschaftlichen Quellen investieren, als dabei an neuer physikalischer Energie gewonnen wird. Wie auch immer: Der Enthusiasmus der Politik wirkt ansteckend auf Landwirtschaft und Verarbeitungsindustrie. Da ist die Rede von einem neuen Zeitalter, das für die Landwirte angebrochen sei, von Optimismus, der nun an die Stelle von Zukunftsangst getreten ist, von positiven Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung, die sich aus den neuen Marktchancen ergeben. Unternehmen, die in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Rohstoffe zu Energieträgern tätig sind, expandieren mit Lust und investieren kräftig. Sogar Zahnärzte und andere Anleger, die mit ihren Beratern auf der Suche nach dem ultimativen Investitionsglück sind, setzen auf die Zukunft der Bioenergie und legen ihr Geld in Unternehmen an, die in ihren Werbeprospekten von der goldenen Zukunft dieser sanften Energie sprechen.

Sowohl in der Politik als auch in der beteiligten Agrarwirtschaft scheint so etwas wie ein Goldrausch ausgebrochen zu sein. Wer schon einmal einen richtigen Rausch hatte, weiß, wie herb der Kater hernach sein kann. Wird auch in der Bioenergie auf den Rausch der Kater folgen? Die Artikel in diesem Heft der Agrarwirtschaft werden dazu beitragen, die richtige Antwort auf diese Frage zu finden. Ich will und kann das nicht vorwegnehmen. Ich will lediglich das Interesse an der Lektüre dieses Heftes anreizen, indem ich einige Fragen stelle, vor allem Fragen, von denen ich meine, wir müssten Antworten haben, bevor entschieden werden kann, ob die Politik sich mit vollem oder vielleicht doch eher mit gebremstem Schaum auf die Förderung der Bioenergie werfen sollte.

Vorweg aber: Warum die Bioenergie als Aktionsfeld der Politik so reizvoll ist, lässt sich leicht verstehen. Nachwachsende Rohstoffe aller Art versprechen zwei attraktive Vorteile. Zum einen haben sie Umwelt-Appeal, denn sie könnten dazu beitragen, den Ausstoß von Kohlendioxid und möglicherweise auch anderer Treibhausgase zu vermindern und damit den drohenden Klimawandel zu bremsen, womöglich auch noch andere positive Wirkungen auf die Umwelt zu entfalten. Zum anderen könnten nachwachsende Rohstoffe Energie aus inländischen Quellen zur Verfügung stellen und damit die Abhängigkeit von Energieimporten vermindern, also einen Beitrag zur Sicherheit der Energieversorgung leisten. Da ein großer Teil der Importe von Erdöl und Erdgas aus Weltregionen stammt, deren politische Verlässlichkeit – aus unterschiedlichen Gründen – als eingeschränkt angesehen wird, könnte die vermehrte Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen gleichzeitig ein Faktor der politischen Stabilität sein. Diese beiden Aspekte, also Klima- bzw. Umweltschutz einerseits und Energiesicherheit andererseits, sind schon für sich genommen so attraktiv, dass sie nach politischem Handeln rufen.

Wenn es um Bioenergie geht, kommt als dritter Faktor noch der agrarpolitische Reiz hinzu. Die Agrarmärkte der Welt neigen säkular zu Überschüssen, und die Preise stehen entsprechend unter Druck. In vielen Industrieländern hat die Politik über lange Zeit hinweg versucht, diesen Preisdruck zumindest von den eigenen Bauern fernzuhalten, indem sie die Inlandsmärkte vom internationalen Handel abgekoppelt und mit Eingriffen der unterschiedlichsten Art gestützt hat. Wenngleich diese Art der Agrarpolitik noch längst nicht von der Bildfläche verschwunden ist, so ist sie doch zunehmend an Grenzen der Wirksamkeit und Akzeptanz gestoßen. Für die Landwirte hat das bedeutet, dass die Erzeugerpreise zunehmend den Kräften des Marktes ausgesetzt worden sind – und diese Marktkräfte haben es nicht gut mit ihnen gemeint. Aber gerade da könnte ja die Wende eingetreten sein: Für Bioenergie gibt es angesichts der steigenden Preise für fossile Energie möglicherweise ein riesiges Marktpotential, und die Politik hat sich aufgemacht, dieses Potential für die Landwirte zu erschließen.

Wo drei so kräftige politische Strömungen wie Umweltschutz, Energiesicherheit und Hilfe für die Landwirtschaft in die gleiche Richtung weisen, müsste Politik schon recht hartgesotten sein, um der Versuchung zu widerstehen, sich durch sichtbare Aktion als handlungsbereit und –fähig zu beweisen. Es kann also nicht verwundern, dass Regierungen aller politischer Schattierungen in vielen Ländern dieser Welt sich des Themas Bioenergie angenommen und Förderprogramme in breiter Vielfalt aufgelegt haben. Was vielleicht eher verwundern könnte, ist die Tatsache, dass der politische Funke nicht schon erheblich früher in gleichem Maße übergesprungen ist.

Zwar ist das Thema Bioenergie bereits seit längerer Zeit in der Debatte, und in einigen Teilen der Welt, vor allem in Brasilien, spielt es auch in der Alltagspraxis schon seit vielen Jahren eine erkennbare Rolle. Den ganz großen Aufschwung haben Erzeugung und Verbrauch von Bioenergie, vor allem von Biokraftstoffen, allerdings erst in den letzten vier oder fünf Jahren genommen. Eine Erklärung für diese Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit liegt auf der Hand: Der Preis von Erdöl ist kräftig angestiegen. Lag er noch 2002 unter 30 US-Dollar pro Barrel, so ist er im Jahr 2006 bis in die Region um 75 Dollar vorgestoßen. Ist das nicht genügend Grund für die Suche nach neuen Energiequellen? Aber genau hier stellt sich die erste Frage.

Gewiss, der Preis von Rohöl hat in den vergangenen fünf Jahren kräftig angezogen. Er war aber vorher deutlich rückläufig, vor allem, wenn man die Inflation berücksichtigt, also den Realpreis betrachtet (in US-Dollar, deflationiert mit dem BIP-Preisindex der USA). Erst in der allerjüngsten Vergangenheit ist der reale Preis für Rohöl wieder in die Nähe des Niveaus gekommen, das er bereits zu Zeiten der ersten und zweiten Ölkrise in der Mitte der siebziger und Anfang der achtziger Jahre hatte. Auch im Jahr 2006 liegt der reale Ölpreis noch nicht wieder auf seinem Niveau von 1980 und 1981. Wenn die preisliche Situation am Ölmarkt sich erst jetzt wieder an das annähert, was vor mehr als zwanzig Jahren bereits Realität war, warum entsteht die große Euphorie für Bioenergie als Ersatz fossiler Brennstoffe dann erst jetzt?

Welch einfältige Frage, so lässt sich einwenden, denn erst in den letzten Jahren ist aller Welt bewusst geworden, dass wir einer Klima-Katastrophe zusteuern, die wir mit allen Mitteln abwenden müssen, auch mit dem Übergang von fossilen zu regenerativen Energieträgern aus landwirtschaftlicher Produktion. Lassen wir einmal beiseite, dass der Klimawandel nicht erst in den letzten paar Jahren entdeckt worden ist, so stellt sich doch immerhin die Frage, ob eigentlich ganz eindeutig ist, dass die vermehrte Verwendung von Bioenergie, zurzeit vor allem von Biokraftstoffen, tatsächlich dazu beitragen kann, dem Klimawandel vorzubeugen.

Gewiss, das Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Biokraftstoffen entsteht, entspricht in etwa demjenigen, das von den Pflanzen gebunden wurde, die als Rohstoffgrundlage verwendet wurden. Ein wunderbar geschlossener Kreislauf, so scheint es, ganz anders als bei den fossilen Brennstoffen, deren Verbrennung Kohlendioxid entstehen lässt, das nicht in ihre Produktion eingeht. Jeder weiß, dass die Dinge so einfach nicht liegen. In der Produktion von agrarischen Rohstoffen wird Energie verwendet, häufig solche aus fossilen Energieträgern. Das gleiche gilt für die Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte zu den eigentlichen Energieträgern, also beispielsweise Ethanol. Wie viel Einsparung an Ausstoß von Kohlendioxid am Ende tatsächlich erreicht wird, hängt von den jeweiligen Produktionsverfahren ab – oft ist es wohl nicht sehr viel. Agrarökonomen können dazu nicht viel sagen, sondern hören auf das Urteil ihrer naturwissenschaftlich arbeitenden Kollegen.

Eine eher agrarökonomischen Erwägungen zugängliche und eigentlich sehr schlichte, aber in der politischen Debatte nicht immer bedachte Frage ist allerdings, ob das Kohlendioxid, das aus der Verbrennung von Bioenergie entsteht, tatsächlich im (etwa) gleichen Ausmaß netto von den Pflanzen gebunden wird, die als Rohstoffe zur Erzeugung dieser Bioenergie dienen. Das wäre nur dann der Fall, wenn auf den Flächen, die zur Erzeugung dieser Rohstoffe verwendet werden, sonst keine Pflanzen für andere Verwendungen wachsen, also kein Kohlendioxid gebunden würde. Wie diese Frage zu beurteilen ist, hängt nicht zuletzt auch von wirtschaftlichen Zusammenhängen ab.

Denkbar wäre zum Beispiel, dass die gestiegene Nachfrage nach Rohstoffen für Bioenergie, sagen wir Mais, und der dadurch bewirkte Preisauftrieb bei Mais die Nachfrage nach Mais als Nahrungs- und Futtermittel zurückdrängt, so dass nur ein Teil der Menge an Mais, die für die Herstellung von Ethanol verwendet wird, tatsächlich zusätzlich erzeugt wurde und damit Kohlendioxid bindet, das sonst nicht gebunden worden wäre. In Wirklichkeit sind die Zusammenhänge natürlich deutlich komplexer. Sowohl bei der nicht-energetischen Verwendung der entsprechenden Rohstoffe als auch in der landwirtschaftlichen Erzeugung finden Substitutionsprozesse zwischen verschiedenen Produkten statt. Am Ende wird unter anderem auch entscheidend sein, ob neue Flächen in Nutzung genommen werden, auf denen bisher kein Kohlendioxid gebunden wurde oder ob möglicherweise sogar Flächen genutzt werden, die bisher (als Regenwald?) eine wirksamere Senke für Kohlendioxid waren als die Produktion landwirtschaftlicher Rohstoffe für die Erzeugung von Bioenergie. Was in all diesen Substitutions- und Expansionsprozessen das Gesamtergebnis für eine etwaige zusätzliche Bindung von Kohlendioxid ist, ist eine der am nächsten liegenden, aber schwer zu klärenden Fragen, auf die wir dennoch eine Antwort brauchen, bevor sich vollmundig behaupten lässt, Bioenergie sei neutral im Hinblick auf die Entstehung von Treibhausgasen.

Einige andere Fragen müssen beantwortet werden, bevor die Hoffnung auf mehr Sicherheit der Energieversorgung uns zu sehr mitreißt. Welcher Anteil des gesamten Energieverbrauchs könnte überhaupt durch biogene Rohstoffe abgedeckt werden? Auch dabei muss in Netto-Größen gerechnet werden, denn die fossile Energie, die zur Erzeugung der landwirtschaftlichen Rohstoffe und ihrer Verarbeitung eingesetzt wird, darf nicht vergessen werden. Welche Anteile der landwirtschaftlichen Nutzflächen müssten der Erzeugung von Energie-Rohstoffen gewidmet werden, um diesen Beitrag zur Energieversorgung zu leisten? Und was würde das für die Versorgungslage bei Nahrungs- und Futtermitteln bedeuten? Welche Gruppen von Verbrauchern wären durch die damit verbundenen Preisveränderungen in welchem Maße betroffen?

Fragen über Fragen schließlich auch, wenn es um die Bedeutung von Bioenergie als Hoffnungsträger für Landwirtschaft und Agrarpolitik geht. Hier stehen vor allem wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. Wirklich neue Horizonte tun sich durch Bioenergie für die Agrarwirtschaft nur dann auf, wenn biogene Energieträger auch ohne staatliche Förderung wettbewerbsfähig sind. Dabei sollte nicht ausgeschlossen sein, dass externe Effekte, die in den Marktkräften nicht zum Ausdruck kommen, durch staatliche Politik zum Tragen gebracht werden, allerdings in voller Abstimmung mit entsprechend ausgerichteten Maßnahmen in anderen Bereichen der Energiewirtschaft und des Klimaschutzes. Was die Wettbewerbsfähigkeit von Bioenergie angeht, so bleiben zahlreiche Fragen offen. Bei welchem Preis für Erdöl und andere fossile Energieträger werden welche Formen von Bioenergie in welchen Teilen der Welt preislich konkurrenzfähig, ohne dass Subventionen, Zölle oder andere staatliche Maßnahmen nachhelfen müssen? Wie wirkt sich in dieser Hinsicht der Ölpreis auf die Produktionskosten von Bioenergie aus? Mit welcher zukünftigen Entwicklung des Realpreises von Erdöl ist zu rechnen? Ist das Szenario der Internationalen Energie-Agentur überzeugend, nach dem der Realpreis von Erdöl (in Preisen von 2005) im Jahr 2030 nicht höher als 55 US-Dollar je Barrel liegen wird?

Schließlich werfen die zahlreichen staatlichen Eingriffe in den Bereich der Bioenergie die unterschiedlichsten Fragen auf. Sind quantitative Vorschriften zur Beimischung von Biokraftstoffen ein geeignetes Instrument der Politik in marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaften? Sind Regierungen gut beraten, wenn sie mengenmäßige Ziele im Hinblick auf die Verwendung unterschiedlicher Kategorien von Energieträgern fixieren oder wäre es eher zielgerecht, das polluter pays-Prinzip anzuwenden und die verschiedenen Energieträger nach ihren Auswirkungen auf Klima und Umwelt steuerlich zu belasten, so dass anschließend der Markt entscheiden kann, welcher Energiemix am sinnvollsten ist? Ist es angebracht, Importe von Bioenergie mit Zöllen zu belasten, oder wäre es besser, die Produktion von Bioenergie-Trägern dort in der Welt stattfinden zu lassen, wo das am kostengünstigsten möglich ist? Würde die damit einhergehende internationale Arbeitsteilung in der Produktion von Bioenergie gleichzeitig auch dazu führen, dass etwaige positive Wirkungen für Klima und Umwelt gestärkt werden? Und wie lässt sich sicherstellen, dass auch in fernen und damit für uns schwer zu überblickenden Produktionsländern die positiven Wirkungen der Bioenergieproduktion sichergestellt werden?

Fragen dieser und ähnlicher Art müssen hinsichtlich der unterschiedlichen Träger von Bioenergie differenziert gestellt werden. Biogene Rohstoffe der „zweiten Generation“, die beispielsweise auf Zellulose basieren, könnten möglicherweise attraktiver sein als die zurzeit hauptsächlich verwendeten landwirtschaftlichen Rohstoffe, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf Umwelt- und Klimaschutz. Aber wann sind die technologischen Durchbrüche zu erwarten, die wohl noch erforderlich sind, um die „zweite Generation“ konkurrenzfähig werden zu lassen? Wäre es ratsam, staatliche Mittel, die gegenwärtig in die Förderung der heutigen Formen von Bioenergie fließen, in die Förderung von Forschung und Entwicklung von Bioenergie der „zweiten Generation“ umzulenken?

Die Artikel in diesem Heft tragen dazu bei, einiges Licht in das Dunkel zu werfen, das ich mit diesen Fragen angedeutet habe. Die Agrarökonomie, ebenso wie die Naturwissenschaften, die Umweltwissenschaften, die Technologieforschung und andere angesprochene Wissenschaftsgebiete werfen sich zurecht mit dem gleichen Elan auf die Beantwortung solcher Fragen, wie die Politik und die Agrarwirtschaft ihn für dieses neue Betätigungsfeld aufbringen. Vielleicht wäre es allerdings ratsam, dass Regierungen, Landwirte und industrielle Investoren ihre Begeisterung noch etwas im Zaume halten, bis vollständigere Antworten auf die vielen Fragen gefunden sind, die sich im Zusammenhang mit der Zukunft von Bioenergie stellen.

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PROF. DR. STEFAN TANGERMANN
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