Rolle der agrarökonomischen Forschung für
Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern

Bernhard Brümmer, Stephan von Cramon-Taubadel, Matin Qaim

Published: 25.07.2008  〉 Jahrgang 57 (2008), Heft 6  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

1. Einleitung
Die Entwicklung auf den Weltagrarmärkten in den vergangenen Monaten war von einer ungekannten Dynamik geprägt. Die Preise für Getreide sind im Verlauf des letzten Jahres zunächst auf ein Niveau geschnellt, welches auch das unerreichbar scheinende Preisniveau während der Ölkrise in den frühen 1970er Jahren wieder als realistisches Szenario erschienen ließ. Für Weizen war die Spitze Ende Februar erreicht, seitdem haben die Preise wieder um mehr als 30 % nachgegeben. Die Preise für Futtergetreide, insbesondere Mais, haben sich erst später am Höhenflug beteiligt, und sie haben auch nicht einen solchen Absturz wie die Weizenpreise hinter sich. Die Reispreise sind wiederum später angestiegen und verharren zurzeit auf einem sehr hohen Niveau. Die Rede von einer Nahrungsmittelkrise zieht weite Kreise in der internationalen Diskussion, zuletzt beim Welternährungsgipfel in Rom Anfang Juni 2008. Während dieses Gipfels wurden auch die großen Unterschiede hinsichtlich der Einschätzung der Ursachen für die Preisentwicklungen deutlich. Der Anstieg der internationalen Agrarpreise wird überwiegend als dauerhaft und nachteilig für die Entwicklung in den ärmsten Ländern der Welt wahrgenommen. So wird geschätzt, dass die Zahl der in Armut lebenden Menschen in den vergangenen 12 Monaten um etwa 100 Mio. zugenommen hat. Viele dieser Menschen leben im ländlichen Raum und sind direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig.

Diese aktuelle Diskussion, in der steigende Nahrungsmittelpreise als große Gefahr für die Armutsbekämpfung gesehen werden, steht in starkem Kontrast zu der Einschätzung, wie sie die Agrarökonomie ganz überwiegend in den letzten Dekaden vertreten hat. Hier wurden die zu niedrigen Preise für Agrarprodukte in armen Ländern betont, die Produktivitätswachstum, ländliche Entwicklung und Armutsbekämpfung hemmen. Niedrige Preise innerhalb der Entwicklungsländer ergaben sich zum einen durch oftmals stärker verbraucherorientierte nationale Preispolitiken. Zum anderen hatte die jahrzehntelange und teilweise noch anhaltende Agrarprotektion in den reichen Ländern Preis senkende Wirkung auf den Weltmärkten. Auch in der Doha-Entwicklungsrunde der WTO werden Politikmaßnahmen in der Landwirtschaft vor allem wegen ihrer möglichen Preis senkenden Wirkung kritisch diskutiert und ggf. im Einsatz begrenzt; Politikinstrumente, welche eher Agrarpreis erhöhend wirken, waren bislang kaum Thema der Verhandlungen.

Vor diesem Hintergrund werden vor allem zwei Dinge deutlich. Erstens spielt der Agrarsektor trotz der zunehmenden Urbanisierung in Entwicklungs- und Schwellenländern nach wie vor eine zentrale Rolle für Armutsbekämpfung. Zweitens ist die Rolle von Agrarpreisen für Armuts- und Hungerbekämpfung vielschichtig und bisher in ihrer vollen Komplexität noch nicht ausreichend verstanden. Im Folgenden möchten wir einige wichtige Punkte in diesem Kontext näher diskutieren und dabei insbesondere auf Herausforderungen für die agrarökonomische Forschung hinweisen. Am Schluss stellen wir kurz das in Gründung befindliche Forschungszentrum „Armut, Wachstum und Verteilungsgerechtigkeit in Entwicklungs- und Transformationsländern“ an der Universität Göttingen vor, welches als ein Instrument konzipiert ist, um einige dieser Herausforderungen anzugehen.

2. Landwirtschaft als Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung
Innerhalb der Agrarökonomie ist es seit langem Konsens, dass die Landwirtschaft ein wichtiger Motor für Armutsbekämpfung und gesamtwirtschaftliches Wachstum in Entwicklungsländern ist. Rund 75 % der globalen Armutsbevölkerung lebt in ländlichen Regionen; 50 % aller Hungernden sind Kleinbauern; weitere 20 % sind Landarbeiter. Die historische Erfahrung zeigt auch, dass Entwicklung am Agrarsektor vorbei bisher fast nirgends funktioniert hat. Dennoch wird dieser Konsens auf politischer Ebene nicht immer geteilt oder aber für die praktische Politikgestaltung schlichtweg ignoriert, so dass öffentliche Investitionen in die Landwirtschaft seit den 1980er Jahren deutlich zurückgefahren wurden. Die Folge sind vielerorts auf niedrigem Niveau stagnierende Agrarproduktivitäten, schlecht funktionierende Märkte und ein nach wie vor hoher Subsistenzgrad in weiten Teilen der Landwirtschaft.

Es gibt allerdings neue Hoffnung, dass die zentrale Rolle des Agrarsektors auf breiterer Ebene wieder erkannt wird. Ein Indiz dafür ist der Weltentwicklungsberichts (WEB) 2008 der Weltbank, der unter das Thema „Landwirtschaft für Entwicklung“ gestellt wurde. Das Thema des jährlich erscheinenden WEB spiegelt oftmals Trends in der globalen Entwicklungspolitik wider. Umso bezeichnender ist es, dass die Landwirtschaft das letzte Mal vor 25 Jahren zentrales Thema des Berichts war. Auch andere Organisationen entdecken den Agrarsektor neu. So hat beispielsweise die Bill and Melinda Gates Stiftung, die vorher vorwiegend im Gesundheitsbereich tätig war, zwischen 2006 und 2008 allein 900 Millionen Dollar für landwirtschaftliche Entwicklung in Afrika investiert. In Asien haben China und Indien ihre Agrarausgaben kürzlich deutlich erhöht. Und auch auf dem Welternährungsgipfel sind aufgrund der Krisensituation von der internationalen Staatengemeinschaft neue finanzielle Verpflichtungen in erheblicher Größenordnung gemacht worden.

3. Herausforderungen für die Agrarökonomie
Mehr Geld für den ländlichen Raum ist notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung für gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Die Frage, wie und in welchen Bereichen investiert werden sollte, ist von mindestens ebenso großer Bedeutung, kann aber nur im lokalen Kontext beantwortet werden. Hier ist agrarökonomische Forschung gefordert. Methodisch kompetente und unabhängig durchgeführte Wirkungsanalysen können mittel- und längerfristig helfen, die Effizienz von Entwicklungsinvestitionen zu erhöhen. Dabei müssen auch schwerer zu bewertende Konsequenzen – wie Armuts- und Verteilungswirkungen sowie Umwelt-, Ernährungs- und Gesundheitseffekte – berücksichtigt werden, was zum Teil die Entwicklung neuer Wohlfahrtsmaße voraussetzt.

Neben öffentlichen Politikmaßnahmen im nationalen Kontext gewinnen aber auch globale Faktoren zunehmend an Bedeutung für Armut und Entwicklung im ländlichen Raum. Veränderte Konsumentenpräferenzen, neue Standards, neue Technologien und ausländische Direktinvestitionen ziehen teilweise weit reichende Veränderungen auf lokalen Märkten nach sich. Vor allem für hochwertige Nahrungsmittel und nachwachsende Rohstoffe entstehen vielerorts integrierte Wertschöpfungsketten, die ausgehend vom lokalen Produktionssystem sich durchaus auf globale Märkte erstrecken. Diese Trends bieten neue Chancen für Entwicklungsländer, aber sie stellen auch neue Herausforderungen dar. Vor allem die Frage, wie Kleinbauern und andere Armutsgruppen profitieren können, erscheint aus entwicklungspolitischer Perspektive relevant. Hier gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf.

Globale Faktoren beinhalten aber auch Umweltaspekte und speziell den Klimawandel. Nicht nur, dass es wärmer wird, sondern es gibt auch deutliche Anzeichen dafür, dass Wetterextreme zunehmen. Was bedeutet das für die Landwirtschaft und für Hunger und Armut an unterschiedlichen Standorten? Was sind geeignete Strategien, um negative Konsequenzen abzuwenden oder zumindest abzumildern? Obwohl die Forschung zum Klimawandel und seine Folgen insgesamt floriert, ist das Thema von agrarökonomischer Seite her noch deutlich unterbeleuchtet.

Die Eignung des Preismechanismus als Koordinierungsinstrument, welche wir als Ökonomen in der Regel als gegeben betrachten, beruht auf der Funktion von Preisen als Ausgleichs- und Anreizmechanismus. Insofern sind Preise und ihre konkreten Wirkungen auch ein traditionelles Thema innerhalb unserer Forschungsrichtung. Aber wissen wir deswegen alles über die Rolle von Preisen in spezifischen Situationen? Nein, und dies wird – wie oben ausgeführt – an der aktuellen Diskussion über die Armutswirkungen der jüngsten Agrarpreisentwicklungen besonders deutlich. Der reine Terms-of-Trade-Effekt führt dazu, dass bei steigenden Preisen Nettoverkäufer von Nahrungsmitteln gewinnen, während Nettozukäufer verlieren. Rein zahlenmäßig gibt es in den meisten Entwicklungsländern mehr Nettozukäufer als Nettoverkäufer, selbst im ländlichen Raum, so dass kurzfristig mehr Haushalte verlieren. Allerdings betrachten diesen Rechnungen zugrunde liegende Studien nur die Nettozukaufs- oder Verkaufsposition für einzelne Produkte oder Produktgruppen, wie z.B. Grundnahrungsmittel. Wenn ein Haushalt neben Grundnahrungsmitteln auch Cash Crops, wie z.B. Ölsaaten, produziert, deren Preise ebenfalls steigen, dann werden die Einkommensverluste überschätzt. Auch wenn es vermutlich stimmt, dass steigende Preise kurzfristig zu mehr Armut führen, wären umfassendere Studien auf Basis aktueller Daten durchaus wünschenswert, allein schon um soziale Maßnahmen zielgerichteter planen und durchführen zu können.

Längerfristig kommen zu den Terms-of-Trade-Effekten auch Allokationseffekte hinzu, weil höhere Preise neue Produktions- und Investitionsanreize schaffen. Hierdurch können Nettozukäufer prinzipiell auch zu Nettoverkäufern werden. Insofern stimmt die traditionelle Argumentation, dass hohe Preise ländliche Entwicklung fördern und Armut reduzieren können. Aber was genau heißt längerfristig? Und wie kann dieser Prozess beschleunigt werden? Um dies zu beantworten, bedarf es besserer Informationen darüber, wie stark und wie schnell sich internationale Preisentwicklungen auf lokalen ländlichen Märkten widerspiegeln. Entsprechende Preistransmissionsanalysen sollten hierbei nicht nur beschreibenden Charakter haben, sondern auch politische und institutionelle Ursachen für Ineffizienzen klar identifizieren.

Die hier skizzierten Bereiche stellen keine vollständige Liste dar. Vielmehr sollte exemplarisch gezeigt werden, dass agrarökonomische Forschung nach wie vor einen wichtigen Beitrag für Armutsbekämpfung leisten kann und muss, sowohl in methodischer als auch in empirischer Hinsicht.

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PROF. DR. BERNHARD BRÜMMER,
PROF. DR. STEPHAN VON CRAMON-TAUBADEL,
PROF. DR. MATIN QAIM
Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung
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