Agrarumweltpolitik – Vorwort

WILHELM HENRICHSMEYER, KARIN HOLM-MÜLLER

Published: 21.06.2002  〉 Heft 5 (von 8) 2002  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

Seit der McSharry-Reform von 1992 sind Agrarumweltprogramme ein etablierter und stetig wachsender Bereich der Agrarpolitik. Nach den Vorstellungen der Agenda 2000 sollen sie zur zweiten Säule einer Agrarpolitik werden, die sich aus der Subventionierung und dem Schutz von landwirtschaftlichen Kernerzeugnissen langsam zurückzieht. Je wichtiger diese 2. Säule wird, umso mehr steht sie auch im Mittelpunkt der Diskussion. Diese wird dabei von zwei Seiten geführt. Zum einen geht es um die Frage, wie die Förderung gestaltet sein muss, damit sie international akzeptabel ist, d.h. vor allem keine oder nur minimale Wettbewerbsverzerrungen hervorruft. Zum anderen müssen die Anforderungen an eine Ausgestaltung der Agrarumweltprogramme unter Effizienzgesichtspunkten geklärt werden, wobei die Frage einer zweckmäßigen Zuweisung der Entscheidungs-, Durchführungs- und Finanzierungskompetenzen in diesem Heft im Mittelpunkt steht.
Die Anforderungen an Unterstützungszahlungen, auf die sich die an der WTO-beteiligten Länder geeignet haben, wurden 1994 in Uruguay im "Agreement on Agriculture" festgelegt. Langfristig sind dabei nur solche Maßnahmen erlaubt, die zu keinen oder höchstens minimalen handelsverzerrenden Wirkungen oder Produktionseffekten führen (Maßnahmen der sogenannten "green box"). Hierunter fallen unter anderem Zahlungen im Rahmen von Umwelt- oder Regionalprogrammen. Diese nehmen heute noch einen relativ kleinen Teil der Förderung unter dem Green-Box-Etikett ein, doch könnte sich dieser Anteil deutlich erhöhen, wenn andere Stützungsmaßnahmen nicht mehr oder nur noch in erheblich geringerem Umfang erlaubt sind. Damit einher geht die Sorge, dass auch Green-Box-Maßnahmen von den Staaten mit einer traditionell starken Einkommensstützungspolitik für die Landwirtschaft genutzt werden, um ihre bisherige Politik unter einem anderen Deckmantel fortzuführen. Dies kann ein Grund dafür sein, dass im Umweltbereich nur solche Maßnahmen green-box-fähig sind, die den Nachweis der in der Zielsetzung genannten Umweltverbesserung liefern und die Honorierung von Umweltleistungen auf die Kompensation der zusätzlichen Kosten beschränken. Die Agrarumweltprogramme der EU sind zumindest insofern WTO-kompatibel, dass sie ebenfalls eine Beschränkung auf die Zusatzkosten plus einer Anreizkomponente von maximal 20 % vorsehen. Diese Anreizkomponente wiederum kann als Kompensation von Kosten der Antragsstellung, aber auch von nicht erfassten Kostenelementen, wie z.B. geringerem Wert der Flächen aus Bankensicht u.ä. interpretiert werden. Insofern sind die EU-Programme zumindest ihrem Wortlaut nach WTO-kompatibel ). Die Autoren des Beitrages "Das moderne Konzept der internen Subventionierung als Kriterium zur Identifizierung von Wettbewerbsverzerrungen bei europäischen Agrarumweltmaßnahmen" (KARIN HOLM-MÜLLER und HANS-PETER WITZKE, Agrarwirtschaft 51, S. 231 ff.) bezweifeln allerdings, dass die "Zusatzkostenregel" zwingend für eine verzerrungsfreie Honorierung von ökologischen Leistungen ist. Aus dem modernen Konzept der internen Subventionierung leiten sie ab, dass bei Kuppelproduktion, die für ökologische Leistungen landwirtschaftlicher Betriebe zweifellos vorliegt, auch Zahlungen über die Zusatzkosten hinaus unter bestimmten Bedingungen keine wettbewerbsverzerrenden Wirkungen entfalten. Sie konzedieren allerdings, dass im Normalfall eine Beschränkung auf die Zusatzkosten sinnvoll ist, um dem Streben nach einer versteckten Einkommenspolitik auf Regierungsebene einen Riegel vorzuschieben. In Fällen jedoch, in denen auch eine durch keine ökologischen Vorgaben eingeschränkte Landwirtschaft nicht wettbewerbsfähig ist, ein Brachfallen der Landschaft jedoch aus Umweltgesichtspunkten negativ zu beurteilen ist, kann nach Meinung der Autoren durchaus mehr als die Zusatzkosten für eine ökologisch erwünschte Produktionsweise gezahlt werden, ohne dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Sie fordern deshalb eine grundsätzliche Beibehaltung und stärkere De-Facto-Berücksichtigung der Zusatzkostenregel, aber ein Abweichen von dieser Regel in festgelegten Gebieten, für deren Auswahl sie sowohl Kriterien als auch Ebenen ableiten, die hierüber entscheiden sollte.
Die zweite oben angesprochene Frage bezüglich einer effizienten Gestaltung und Umsetzung von Agrarumweltprogrammen ist sehr vielschichtig. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Problem der Verteilung von Entscheidungs- und Finanzierungskompetenzen zwischen der EU, den Mitgliedsstaaten, den Bundesländern und der kommunalen Ebene. Diese zentrale Frage ist in den letzten Jahren in einem Arbeitskreis der Robert-Bosch-Stiftung eingehend untersucht und intensiv diskutiert worden. die inhaltlichen Ergebnisse sind in einer Denkschrift mit dem Titel "Agrarumweltpolitik nach dem Subsidiaritätsprinzip" zusammengefasst und in 5 weiteren begleitenden Bänden im einzelnen begründet, belegt und überprüft worden ).
In dieser Denkschrift wird die Subsidiarität als zentrales Ordnungsprinzip für eine effiziente Gestaltung der Agrarumweltpolitik herausgestellt und für die verschiedenen Teilaufgaben konkretisiert: Im Mittelpunkt steht die Frage einer effizienten Zuweisung von Entscheidungskompetenzen, die sich an der räumlichen Ausdehnung des jeweiligen Umweltproblems und dem Kreis der jeweils Betroffenen zu orientieren hat. Dabei sind die Nutzen- und Kostengrößen der Betroffenen in allen Teilbereichen zu berücksichtigen wie Zielsetzung und Entscheidungsfindung, Durchführung und Finanzierung. Hierbei nimmt die Frage der Honorierung von Umweltleistungen nach dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz eine zentrale Stellung ein. Hiernach sollen diejenigen, die einen Nutzen von besonderen Umwelt- und Landschaftsschutzleistungen haben, auch die Kosten dafür tragen, um damit einen Anreiz für einen effizienten Mitteleinsatz zu geben. Zur Überprüfung der Praxistauglichkeit einer Gestaltung der Agrarumweltpolitik nach den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips wurden Fallstudien für zwei Untersuchungsregionen (Uckermark, Kraichgau) durchgeführt, die in der Grundtendenz die Umsetzbarkeit und Vorteilhaftigkeit einer Orientierung an Subsidiaritätsprinzipien erkennen lassen.
In dem zweiten und dritten Beitrag dieses Heftes werden jeweils bestimmte Teilaspekte einer effizienten Gestaltung von Agrarumweltprogrammen behandelt. Beide Autoren haben an der Erarbeitung der Denkschrift der Robert-Bosch-Stiftung mitgewirkt und vertiefen im Rahmen ihrer Beiträge einige Aspekte.In dem Beitrag von BETTINA RUDLOFF: "Agrarumweltpolitik nach dem Subsidiaritätsprinzip" (Agrarwirtschaft 51, S. 239 ff.) wird ausgehend von der Föderalismustheorie eine grundsätzliche Beurteilung der vorliegenden Kompetenzstrukturen im Bereich der Agrarumweltpolitik vorgenommen und darauf basierend werden Reformbedarf und -potenziale aufgezeigt. Dabei werden insbesondere Defizite bei der Zuordnung von Finanzierungskompetenzen identifiziert. Dieser Beitrag verdeutlicht die Möglichkeiten einer systematischen Problemstrukturierung anhand von Kriterien der Föderalismustheorie, lässt gleichzeitig aber auch Einschränkungen bei der Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen erkennen, insbesondere wenn allgemeine politische Zielsetzungen, wie z.B. das "Kohäsionsziel", in die Betrachtungen einbezogen werden. Der Beitrag von GUIDO URFEI: "Regionale Verteilung von Schutzgebieten in Deutschland" (Agrarwirtschaft 51, S. 249 ff.) orientiert sich ebenfalls an den Grundvorstellungen der ökonomischen Theorie des Umweltföderalismus, geht dabei jedoch von der derzeit existierenden Kompetenzverteilung zwischen Bundes-, Länder- und EU-Ebene für den Bereich des Umweltschutzes aus, wählt die derzeit existierende regionale Verteilung der Natur- und Landschaftsschutzflächen als Ausgangspunkt seiner Analyse und diskutiert vor diesem Hintergrund existierende Konfliktpotenziale und die dadurch bedingten Ineffizienzen. Hierauf basierend leitet er Empfehlungen zur Modifikation von Kompetenzzuordnungen ab und begründet Kooperationsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften.Der Aufsatz von BERNHARD OSTERBURG und URSULA STRATMANN: "Die regionale Agrarumweltpolitik in Deutschland unter dem Einfluss der Förderangebote der Europäischen Union" (Agrarwirtschaft 51, S. 259 ff.) bezieht sich ebenfalls auf die Beziehungen zwischen EU- und Länderpolitik, vor allem im biotischen Ressourcenschutz. Er thematisiert insbesondere die Spannungen zwischen einem ordnungspolitischen Vorgehen, wie es von vielen Ländern durch die Ausweisung von Schutzgebieten mit Zwangsauflagen vorgenommen wird, und einer von der EU forciert vorangetriebenen Anreizpolitik mit Förderinstrumenten. Da die Kofinanzierung der Agrarumweltprogramme einerseits auf dem Prinzip der uneingeschränkten Freiwilligkeit der Maßnahmen beruht und andererseits die EU-geförderten Programme für die Länder von großer Bedeutung sind, fahren diese nach Ansicht der Autoren in vielen Fällen den hoheitlichen, dauerhaften Gebietsschutz zugunsten befristeter freiwilliger Maßnahmen zurück. Ebenso setze die von der EU geforderte Freiwilligkeit der Maßnahmen Anreize, bestehendes Recht großzügiger auszulegen und von einer weiteren Verschärfung des Ordnungsrechts abzusehen, damit Fördertatbestände nicht in Frage gestellt werden. Aus diesen und anderen Kritikpunkten an der heutigen Förderpraxis schließen die Autoren, dass für Umweltmaßnahmen mit lokalem Charakter eine Rückverlagerung der Finanzierungskompetenz in die Regionen sinnvoll sei. Für überregional wirkende Maßnahmen ist allerdings ein Einfluss der EU aufgrund der oben bereits angeführten Argumente der ökonomischen Theorie des Föderalismus beizubehalten. Sofern die EU-kofinanzierten Maßnahmen bestehen bleiben, sollte versucht werden, dem o.a. Spannungsfeld mehr Aufmerksamkeit zu schenken, um Reibungsverluste zu minimieren.

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Prof. Dr. Karin Holm-Müller und Prof. Dr. Wilhelm Henrichsmeyer,
Institut für Agrarpolitik, Marktforschung und Wirtschaftssoziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn,
Nußallee 21, D-53115 Bonn
Telefon: (0228/) 73 23 33, Fax: (0228/) 73- 5923
(E-Mail: holm-mueller@agp.uni-bonn.de)
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