Agrar-Bioterrorismus: Eine neue Gefahr für Verbraucher und Ernährungswirtschaft?

HARALD VON WITZKE

Published: 29.01.2003  〉 Heft 2 (von 8) 2003  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

Die Terroranschläge des 11. September 2001 haben zu einer intensiven öffentlichen Debatte über die Verwundbarkeit einzelner Länder und der internationalen Staatengemeinschaft durch terroristische Akte geführt. Dabei ist schnell deutlich geworden, dass die Agrar- und Ernährungswirtschaft als ein mögliches Ziel von Terroristen anzusehen ist, lassen sich doch in diesem Wirtschaftsbereich mit relativ geringem Risiko für die Terroristen erhebliche Personenschäden und auch wirtschaftliche Schäden anrichten. Ein großer Aufmerksamkeitseffekt ist mit beidem zu erzielen.
Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von der Sorge um das tägliche Brot. Schon kleine Störungen der Agrar- und Ernährungsgüterproduktion konnten und können großen Schaden anrichten. Der Einsatz von Agrar-Biowaffen stellt den Versuch dar, dem Gegner durch Beeinträchtigung der Nahrungsgüterproduktion zu schaden.Agrar-Biowaffen sind so alt wie die Menschheit. Im Mittelalter wurden zu diesem Zweck etwa die Felder des Gegners versalzen, erntereife Felder abgebrannt oder Bewässerungssysteme zerstört. Auch wurden Steinschleudern mit Tierkadavern geladen und in belagerte Siedlungen geschossen.
Praktisch jedes Biowaffenprogramm der jüngeren Vergangenheit hat im Arsenal auch Agrar-Biowaffen gehabt. Vor und während des zweiten Weltkriegs testeten viele Länder Agrar-Biowaffen, wie z.B. das Deutsche Reich, die USA, Frankreich oder das Vereinigte Königreich. Einige Länder, so beispielsweise Japan oder das Deutsche Reich setzten diese auch ein.
In Nazi-Deutschland wurde mit MKS als Offensivwaffe ebenso experimentiert wie mit dem Abwurf von Kartoffelkäfern aus Flugzeugen. Das Vereinigte Königreich hatte 5 Millionen getrocknete und mit Milzbranderregern kontaminierte Kuhfladen zum Abwurf aus Flugzeugen eingelagert. Ähnliche Strategien waren für MKS entwickelt worden. Die USA erwogen im zweiten Weltkrieg einen Agrar-Bioangriff auf die Reisproduktion Japans. Das Deutsche Reich setzte MKS-Erreger vom Flugzeug aus über Teilen von Russland frei, während Japan Pilze, Nematoden und Nutzpflanzen befallende Bakterien in Teilen Chinas und in Sibirien vom Flugzeug aus verbreitete.Das Ende des Zweiten Weltkrieges stoppte die Entwicklung von Agrar-Biowaffen nicht. Sowohl die USA als auch die Sowjetunion verfügten über ein umfangreiches Arsenal von Pathogenen von Nutzpflanzen und Nutztieren für offensive Kriegsführung.
Trotz ihrer weiten Verbreitung sind Agrar-Biowaffen in kriegerischen Konflikten zwischen Staaten nur selten eingesetzt worden. Die internationale Ächtung von Biowaffen hat sicherlich dazu beigetragen.
Die Bedrohung mit Agrar-Biowaffen stammt heute daher nicht so sehr von Nationalstaaten als vielmehr von Gruppen, die sich nicht als Nationalstaat oder andere Gebietskörperschaften etabliert haben - Terroristen. Diese Nichtregierungsorganisationen fühlen sich nicht an internationale Abkommen gebunden, die von Regierungen von Nationalstaaten unterzeichnet wurden, und sie sind unbeeindruckt von der allgemeinen Ächtung des Einsatzes solcher Waffen durch die Weltöffentlichkeit.Der Einsatz von Agrar-Biowaffen durch Terroristen würde wohl nicht so sehr auf direkte Personenschäden abzielen können. Die meisten, aber gewiss nicht alle Agrar-Biowaffen (Milzbrand) sind für Menschen relativ harmlos. In einem Land mit geringen Einkommen und fehlenden Devisenreserven kann der Schaden an Feldfrüchten und Nutztieren indes die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln deutlich verschlechtern und damit indirekt zu Personenschäden durch Zunahme von Mangelernährung führen.
Ein Angriff durch Agrar-Bioterroristen hat aber in jedem Fall das Potenzial, große wirtschaftliche Schäden zu verursachen. Dies kann dadurch geschehen, dass landwirtschaftliche Nutzpflanzen und/oder ?tiere in großem Umfang zerstört werden. Dies kann aber auch dadurch geschehen, dass das Vertrauen der Verbraucher in die betroffenen Nahrungsgüter schwindet, wodurch sich Nachfrage und Preis verringern.
Ganz offensichtlich existiert in diesem Fall ein Anreiz für Agrar-Bioterroristen auch ökonomisch von ihren Anschlägen zu profitieren. Die von einem Anschlag ausgehenden Preisveränderungen können dann einfach über entsprechende Dispositionen auf den Agrarterminmärkten gewinnbringend antizipiert werden.Neben den finanziellen Schäden durch sinkende Preise auf den betroffenen Märkten, ergäben sich bei einem agrar-bioterroristischen Anschlag weitere wirtschaftliche Schäden. Zum einen erfordert die Eindämmung von ansteckenden Pflanzen- und Tierkrankheiten zusätzliche Ressourcen. Bei hochansteckenden Krankheiten wie MKS können dazu auch Kontrollen der räumlichen Mobilität von Menschen, Tieren sowie Pflanzen oder die Vernichtung von Pflanzen bzw. Tieren zählen. Zum anderen können sich wirtschaftliche Schäden durch Restriktionen des internationalen Handels aufgrund von WTO-Handelsregeln ergeben. Empirische Analysen zeigen, dass ein Ausbruch von MKS in den USA Exportverluste bei Rindfleisch im Wert von mehr als $ 27 Mrd. zur Folge hätte.
Meist dürften die indirekten Schäden weit größer sein als die direkten Schäden. Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass schon geringe tatsächliche oder befürchtete Schäden zu starken Reaktionen der Nachfrage führen. In den 80er Jahren gab es als glaubhaft angesehene Drohungen, dass seitens der USA importierter Tee aus Sri Lanka und Weintrauben aus Chile mit Cyanid vergiftet waren. Allein diese Drohungen führten in den USA zu erheblichen Kosten für Kontrolle und Beseitigung verdächtiger Nahrungsgüter. Und sie haben eine deutliche Verringerung der Nachfrage nach diesen Gütern zur Folge gehabt.
Europa ist seit dem Zweiten Weltkrieg vom Agrar-Biowaffeneinsatz verschont geblieben. Nach wie vor stellt die Agrar- und Ernährungswirtschaft jedoch ein attraktives Ziel für einen solchen Angriff dar, weil sie sehr leicht verwundbar ist, und große Schäden verursacht werden können:Agrarwirtschaftliche Produktionsstätten, wie insbesondere Felder und Grünland, sind praktisch für jedermann ohne Kontrolle zugänglich.Mit wenigen Ausnahmen stellen Agrar-Biowaffen keine Gefahr für die Angreifer selbst dar.Agrarpathogene, wie MKS, können auch vom Ausland aus eingesetzt werden und durch Schmuggel oder legalen Import in das Zielland gebracht werden.Viele Agrarpathogene können mit einfachen technischen Hilfsmitteln verlässlich ausgebracht werden.Auch mit wenigen Fällen von Erkrankungen oder Tod bei Mensch bzw. Tier kann ein großer wirtschaftlicher Schaden verursacht werden.Der Einsatz von Agrar-Biowaffen hat eine lange Geschichte. Die Tatsache, dass Europa seit mehr als einem halben Jahrhundert von solchen Angriffen verschont geblieben ist, hat wohl dazu geführt, dass Europa auf einen Angriff durch Agrar-Bioterroristen wenig vorbereitet ist. Zu diesem Themenbereich besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Weder ist bekannt, welche Personenschäden und welche wirtschaftlichen Schäden von verschiedenen Formen solcher Angriffe ausgehen können. Noch ist hinreichend untersucht, welche institutionellen, organisatorischen und sonstigen Voraussetzungen existieren müssen, damit die Auswirkungen eines agrar-bioterroristischen Anschlags minimiert werden können.

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Prof. Dr. HARALD VON WITZKE, Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus, Fachgebiet Internationaler Agrarhandel und Entwicklung, Landwirtschaftlich Gärtnerische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin, Luisenstraße 56, D-10099 Berlin, Tel: +(49)-30-2093 6233, Fax: +(49)-30-2093 6301 (E-mail: hvwitzke@agrar.hu-berlin.de http://www.agrar.hu-berlin.de/wisola/ fg/ihe/Welcome.htm)
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