Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft – das Beispiel Milchwirtschaft

Erich Schmidt

Published: 01.05.2000  〉 Heft 3-4/2000  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

Zunehmende Verflechtungen der Weltwirtschaft und fortschreitende Liberalisierung des Welthandels führen zu einer Globalisierung und Intensivierung des Wettbewerbs zwischen Ländern, Sektoren und Unternehmen. Dies gilt auch für die Agrar- und Ernährungswirtschaft, die sich trotz der starken agrarpolitischen Einflussnahme dem Prozess letztlich nicht entziehen kann. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat diese Fragestellung in seinem jüngsten Gutachten aufgegriffen und untersucht, inwieweit der bedeutendste Zweig der deutschen Ernährungswirtschaft - die Milchwirtschaft - in der Lage ist, sich im Wettbewerb mit anderen Anbietern in der EU, aber auch in der Welt, bei einer stärkeren Liberalisierung der Märkte für Milcherzeugnisse nachhaltig zu behaupten. Eine solche Thematik lässt sich nicht hinreichend bearbeiten, ohne zu berücksichtigen, dass "die Milchwirtschaft", wie andere Branchen auch, eine mehrere Stufen umfassende Wertschöpfungskette darstellt. Die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Kette wird dabei auf jeder Stufe durch eine Vielzahl von Determinanten bestimmt, die sich mit Hilfe des von Porter entwickelten Konzeptes ("Diamant") systematisieren lassen (vgl. M. E. Porter, 1990, Kapitel 1, insbes. S. 127), und deren Einflussrichtung und Bedeutung man im konkreten Einzelfall nachzugehen hat. Der Beirat ist diesem Konzept gefolgt und hat - ausgehend vom Verbrauch über die Absatz-, Verarbeitungs- und Erfassungsstufe der Molkereiwirtschaft bis hin zur Milcherzeugung - die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milchwirtschaft analysiert. Die Analyse beruht auf einer Zusammenstellung und kritischen Würdigung von wettbewerbsrelevanten Bestimmungsfaktoren, wobei vor allem zwei Gruppen von Indikatoren verwendet werden: ex post Analyse von Handelsströmen, Marktanteilen, Güterpreisen und Kosten (performance measures) sowie Analyse von Indikatoren zur Abschätzung des Wettbewerbsprozesses und des Wettbewerbspotenzials (measures of competitive process and competitive potential). Die in dem Gutachten herausgearbeiteten Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken der deutschen Milchwirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Verbrauchsentwicklungen in der Welt, der EU und in Deutschland lassen einerseits ein (schwaches) Wachstum erkennen, das sich allerdings im Wesentlichen auf die Produktgruppen Käse und Milchfrischerzeugnisse beschränkt. Andererseits ist gleichzeitig eine auch für andere Konsumgütermärkte typische Tendenz zu einer Polarisierung der Märkte festzustellen: ein relativ großes Segment für markenlose Standarderzeugnisse, bei denen die Preisstellung (und damit die Kostenposition) zentral für die Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter ist, steht einem (zumindest für die Mehrzahl der Milcherzeugnisse) sehr viel kleineren Segment für Spezialerzeugnisse, die den heterogenen Präferenzen kaufkräftiger Nachfrager entsprechen und den Unternehmen Preissetzungsspielräume eröffnen, gegenüber. Aus dieser Situation ergeben sich für die Molkereiunternehmen grundsätzlich zwei Erfolg versprechende Strategieansätze: Kosten- oder Qualitätsführerschaft (vgl. hierzu ebenfalls z.B. Porter, 1990, S. 39). Beide Basisstrategien sind in der deutschen Milchwirtschaft anzutreffen. Eine Analyse der Verhältnisse zeigt indessen, dass die Voraussetzungen für das Streben nach Preis- bzw. Kostenführerschaft in Deutschland tendenziell ungünstig sind und eine solche Strategie tatsächlich auch nur von den großen (genossenschaftlich organisierten) Molkereiunternehmen verfolgt wird. Grundsätzlich behindern nämlich die vergleichsweise kleineren Unternehmens- und Betriebsstrukturen, die im Vergleich zu wichtigen Wettbewerbern ungünstigeren Erfassungsbedingungen, die vergleichsweise hohen Faktorpreise und die mit höheren Kosten verbundenen vorherrschenden Rahmenbedingungen (z.B. Arbeits- und Umweltschutzregelungen) eine solche - nach innen, auf das Kostenmanagement, konzentrierte - Ausrichtung des Marketings. Allerdings konnte auch nachgewiesen werden, dass die zweifellos vorhandenen Nachteile in diesem Bereich in ihrer Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wertschöpfungskette angesichts der überragenden Bedeutung der agrarpolitisch bestimmten Rohstoffkosten (in der Regel mehr als 50% der Molkereiabgabepreise) nicht überschätzt werden sollten: das realisierbare Kostensenkungspotenzial durch günstigere Verarbeitungs- und Erfassungsstrukturen beträgt allenfalls rd. 2,5 Pf/kg Milch - das sind 4%-5% des Erzeugerpreises. Die zweite Variante strategischer Ausrichtung erfordert ein differenziertes Marktsegmentierungskonzept mit dem Ziel, durch besondere Produkt- und Prozesseigenschaften sowie Innovationen Anbieterkompetenz zu erlangen und auf diese Weise den Preis bzw. die Produktionskosten aus der zentralen Rolle als Wettbewerbsparameter auf Käufermärkten zu verdrängen. Auch für diese nach außen, auf die Absatzmärkte, gerichtete Strategie gibt es in der deutschen Molkereiwirtschaft erfolgreiche Beispiele. Die Marktarealstrategien dieser Molkereien sind allerdings zumeist nur regional oder national ausgerichtet, nur in Einzelfällen wird auch eine internationale Strategie verfolgt. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt dabei grundsätzlich im Bereich der Milchfrischprodukte, bei denen die heimischen Molkereien zudem über einen natürlichen Standortvorteil verfügen. Von den bereits erwähnten, die Wettbewerbsfähigkeit der Molkereien tendenziell beeinträchtigenden Einflüsse ist die vergleichsweise kleine Unternehmensgröße für diese Gruppe am bedeutsamsten; denn die Möglichkeiten zur Schaffung der finanziellen Basis für Aktivitäten im Bereich F&E und Kommunikation zum Aufbau und zur Verteidigung von Herstellermarken sind in kleineren Unternehmen erschwert. Neben diesen beiden Gruppen mit erkennbarer strategischer Schwerpunktbildung existieren relativ viele, insbesondere genossenschaftliche Molkereien, die in der Vergangenheit eine klare marketingstrategische Ausrichtung vermissen ließen. Hauptursache für diese Defizite sind nach Auffassung des Beirates für deutsche genossenschaftliche Unternehmen typische, systemimmanente Problemfelder: unzureichend operationalisierter Förderungsauftrag, bisherige Handhabung des Ehrenamtes, Konflikte zwischen den Interessen der Kapitalgeber und Lieferanten, Überbetonung des kurzfristigen Ziels einer maximalen Milchgeldauszahlung u.a.m. Hinzu kommt die Tatsache, dass Inhaber auslaufender Milchviehbetriebe kein Interesse an der Stärkung der unteilbaren Rücklagen und an der Durchführung von längerfristig angelegten Investitionen in den Markt haben. Im Vergleich zur Verarbeitungsstufe sieht der Beirat auf der Stufe der Milcherzeugung deutlich größere Wettbewerbsschwächen für die deutsche Milchwirtschaft. Insbesondere in den alten Bundesländern schlagen sich die zu geringen Bestandsgrößen, die im Durchschnitt unzureichende Arrondierung der Betriebsflächen sowie die kleinen und kaum entwicklungsfähigen Wirtschaftsgebäude in Produktionskosten nieder, die im Vergleich zu den Kosten wichtiger Wettbewerber in der EU und in der Welt sehr hoch liegen. Wegen der großen Bedeutung der Rohstoffkosten an den gesamten Produktionskosten der Milcherzeugnisse sind bei einer stärkeren Liberalisierung der Märkte und sinkenden Preisen gravierende negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milcherzeugung und damit auf die gesamte deutsche Milchwirtschaft zu erwarten. Auf Grund der vorstehend, wenn auch verkürzt, wieder gegebenen Analyse der Wettbewerbsposition der deutschen Milchwirtschaft und der herausgearbeiteten wichtigsten die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigenden Bestimmungsfaktoren hat der Beirat Empfehlungen zum Abbau der bestehenden Wettbewerbsschwächen entwickelt. In den Bereichen Marketing, Verarbeitung und Erfassung sind in erster Linie Anpassungen auf Unternehmensebene erforderlich: Optimierung der Betriebsstätten- und Unternehmensstrukturen durch internes und externes Wachstum, Realisierung des noch vorhandenen Kostensenkungspotenzials, Konzeption und Umsetzung von wohl definierten, in der Regel marktadäquaten Differenzierungsstrategien. Letzteres erscheint wichtig, weil bei fortschreitender Liberalisierung der Milchmärkte die Erzeugungskosten an Bedeutung gewinnen und die deutsche Milchwirtschaft in diesem Bereich die bestehenden Wettbewerbsnachteile in absehbarer Zeit kaum wird abbauen können. Eine direkte staatliche Förderung der notwendigen Anpassungen wird vom Beirat nachdrücklich abgelehnt. Demgegenüber werden flankierende Maßnahmen der Politik zur Unterstützung der Bemühungen der privaten Wirtschaft empfohlen: eine mit den Betroffenen abgestimmte grundlegende Reform der Gesetzgebung zum Genossenschaftswesen und eine Fortsetzung der in der jüngsten Vergangenheit zu beobachtenden Handhabung des Kartellrechts im Bereich der Molkereiwirtschaft können eine Lösung der spezifischen Probleme in diesem Bereich erleichtern. Darüber hinaus sind Verbesserungen, insbesondere Flexibilisierungen der allgemeinen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen und Deregulierungen auf den Faktormärkten (vor allem auf dem Arbeitsmarkt) geeignet, die Produktions- und Transaktionskosten zu senken und so die Kostennachteile deutscher Unternehmen (auch der Molkereien) zu vermindern. Den stärksten Hemmfaktor für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milcherzeugung sieht der Bereit dagegen im Bereich der Politik. Insbesondere durch die Quotenregelung und ihre Handhabung werden private Investitionen auf der Erzeugerstufe nicht nur stark verteuert, sondern durch das hohe Politikänderungsrisiko nachdrücklich erschwert. Aus diesem Grunde wird im Bereich der Milcherzeugung auch insbesondere politische Verantwortung für die dort herrschende Situation und entsprechender Handlungsbedarf gesehen: sofortige, weitestgehende Flexibilisierung und nachfolgende rasche Abkehr von der Kontingentierung sind Grundvoraussetzungen für die Freisetzung privater Initiativen für strukturellen Wandel.

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Verfasser: Prof. Dr. ERICH SCHMIDT, Institut für Gartenbauökonomie der Universität Hannover. D-30419 Hannover. Email: schmidt@ifgb.uni-hannover.de
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