WTO-Verhandlungen: Warum die Einigung so schwierig und dennoch so wichtig ist

Martina Brockmeier, Janine Pelikan

Published: 04.04.2007  〉 Jahrgang 56 (2007), Heft 3  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
Submitted: N. A.   〉 Feedback to authors after first review: N. A.   〉 Accepted: N. A.
DOI:
N. A.

ABSTRACT

Anfang 2007 wurden die WTO-Verhandlungen der Doha-Runde nach vorläufigem Aussetzen im Juli 2006 wieder aufgenommen. Wissenschaft und Wirtschaft sowie alle Beteiligten aus der Politik, insbesondere die der EU, der USA und der G20-Gruppe, begrüßten diese Entwicklung ausdrücklich und gingen mit neuem Optimismus in die Verhandlungen. Zwei Monate später ist jedoch noch nicht einmal eine marginale Annäherung der Verhandlungspositionen zu verzeichnen; ein Abschluss scheint in weite Ferne gerückt. Warum ist die Einigung in den WTO-Verhandlungen so schwierig?

Bisher konnten sich die WTO-Mitglieder nur auf wenige Eckdaten einigen. So beschlossen sie auf der Ministerialkonferenz in Hongkong (Dezember 2005), dass alle Exportsubventionen und äquivalente Maßnahmen bis zum Jahr 2013 vollständig abgebaut werden müssen. Darüber hinaus steht fest, dass das Aggregate Measurement of Support (AMS) einschließlich der De-Minimis- und der Blue-Box-Zahlungen im ersten Jahr nach Abschluss der Verhandlung um mindestens 20 % zu kürzen ist. Für die inländische Stützung und für den Marktzugang legten sich die Verhandlungspartner zudem auf eine Kürzung des AMS bzw. der Zölle im Rahmen einer gestuften Formel mit 3 bzw. 4 Bändern fest. Diese wenigen Entscheidungen lassen erheblichen Spielraum für die weiteren WTO-Verhandlungen offen. So steht immer noch nicht fest, in welcher Größenordnung und wie das AMS und die Zölle gekürzt und wie breit die 3 AMS- bzw. 4 Zollbänder angelegt werden sollen. Ebenfalls ungeklärt ist die Handhabung von speziellen bzw. sensiblen Produkten und Zollquoten sowie die Frage, ob und in welcher Höhe eine Kappung der Zölle nach ihrer Kürzung erfolgen soll.

Bei den meisten offenen Fragen wird die Bandbreite der Möglichkeiten durch die Forderungen der Verhandlungspartner fast vollständig ausgeschöpft. Die Vorschläge der WTO-Mitgliedsländer bzw. der jeweiligen Gruppen liegen daher weit auseinander und können in ihren Auswirkungen auf die jeweiligen Volkswirtschaften nur schwer abgeschätzt werden. Letzteres wird durch die Existenz des
Binding Overhang im Bereich der Zölle und des AMS zusätzlich erschwert. Die gegensätzlichen Interessen und die Unsicherheit über die Auswirkungen der WTO-Verhandlungen sind sicherlich ein wichtiger Grund, der immer wieder den Abschluss der aktuellen WTO-Verhandlungen hinaus gezögert hat. Besondere Brisanz besitzt in diesem Zusammenhang nach wie vor die Größenordnung der Kürzung von AMS und Zöllen. Während die USA kaum Spielraum zur Kürzung ihrer inländischen Stützung sehen und demgemäß sehr zurückhaltend auf Forderungen zum Abbau ihrer inländischen Stützung reagieren, fühlt sich die EU vor allem bei der Öffnung ihrer Agrarmärkte unter Druck gesetzt. Entsprechend niedrig fallen daher auch die von der EU unterbreiteten Vorschläge zur Öffnung der Agrarmärkte aus. Zwischen den USA und Entwicklungsländern ist darüber hinaus das Ausmaß des zugestandenen Special and Differential Treatment von Seiten der Entwicklungsländer ein kontroverser Streitpunkt. Auch üben sich die Entwicklungsländer bei der Öffnung ihrer Märkte für Industrieprodukte in besonderer Zurückhaltung. Diese Überlagerung von Interessen im Agrar- und Industriebereich sowie die Forderung nach einem in diesen beiden Bereichen zufrieden stellenden Abschluss führen dazu, dass die Verhandlungspartner sich gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben können und von der jeweils anderen Gruppe erwarten, sich zuerst zu bewegen. Das Single Undertaking der WTO-Verhandlungen wird somit erwartungsgemäß zu einem weiteren Hemmschuh eines erfolgreichen WTO-Abschlusses.

Ebenfalls behindert wird der Abschluss der Doha-Runde durch den Reformbedarf der nationalen Agrarpolitiken in den Industrieländern. Analog zur Uruguay-Runde und der MacSharry-Reform verbesserte erst der Mid-Term-Review der GAP die Konformität zwischen der EU-Agrarpolitik und den Liberalisierungsforderungen auf internationaler Ebene. Die Entkopplung der EU-Direktzahlungen hat dazu geführt, dass die EU selbst hohen Kürzungen der inländischen Stützungen gelassen gegenüber steht. Je mehr sich der zeitliche Abstand zwischen EU-Reform und WTO-Abschluss vergrößert, umso mehr mindert sich jedoch der Wert dieser „Verhandlungsmasse“ in Form der EU-Agrarreform. Ob die Abschaffung der EU-Exportsubventionen und die von Mandelson am 24. Juli 2006 vorgeschlagenen Kürzungen der Zölle um durchschnittlich ca. 51 % mit der derzeitigen GAP vereinbar sind, kann zum jetzigen Zeitpunkt ohne Vorliegen eines konkreten Zollkürzungsvorschlags sehr schwer abgeschätzt werden. Die Kompatibilität dürfte hier jedoch nur mit Schwierigkeiten erzielt werden. Die USA arbeiten zurzeit ebenfalls an einer Revision der derzeitigen Farm Bill 2002. Die bislang bekannt gewordenen Einzelheiten zu den neuen Vorschlägen bleiben jedoch hinter den Erwartungen der EU und der G20-Gruppe zurück und werden bei den Kürzungen der inländischen Stützung im Rahmen der WTO für die USA vermutlich nur einen Minimalkompromiss zulassen. Auch hierdurch wird die Wahrscheinlichkeit eines baldigen WTO-Abschlusses nicht erhöht.
Alle Verzögerungen der WTO-Verhandlungen führen dazu, dass die ohnehin für viele Länder schon sehr attraktiven bilateralen und regionalen Handels- und Präferenzabkommen eine weitere Hochkonjunktur erleben. So handelt die EU beispielsweise nur noch mit 9* der insgesamt 150 WTO-Mitgliedsländer auf der Basis von MFN-Zöllen. Auch die USA öffnen im Rahmen von nicht-multilateralen Abkommen zunehmend ihre Märkte, zu denen andere Länder bislang fast ausschließlich Zugang nach Abschluss eines multilateralen Abkommens erhielten. Weitere bilaterale und regionale Handelsabkommen werden zurzeit von Indien, Australien, China und Japan im größeren Umfang initiiert. Diese Entwicklung ist nicht nur aufgrund der wohlbekannten Problematik dieser Handelsabkommen von Bedeutung. Vielmehr führen einmal eingegangene bilaterale und regionale Handels- und Präferenzabkommen bei den beteiligten Vertragspartnern dazu, dass die Befürchtung der Erosion eigener Präferenzen weitgehende Zugeständnisse im Bereich des Marktzugangs erheblich einschränkt und somit die Flexibilität der WTO-Verhandlungspartner insgesamt deutlich abnimmt. Bei zunehmender Verzögerung der WTO-Verhandlungen wird zudem die Bereitschaft der nicht an den bilateralen und regionalen Handels- und Präferenzabkommen beteiligten Länder gesteigert, sich selbst an solchen Handelsabkommen zu beteiligen. Es entsteht folglich ein Teufelskreis, in dem der kurzfristige Nutzen eines nicht-multilateralen Abkommens von den betreffenden Ländern höher bewertet wird als der langfristige Nutzen eines funktionierenden multilateralen Systems.

Ein anderer Ausweg aus der WTO-Warteschleife scheint für viele WTO-Mitgliedsländer in verstärkter Aktivität bei den Schlichtungsverfahren zu liegen. Insbesondere einige Mitglieder der exportorientierten G20-Gruppe, nämlich Argentinien, Brasilien, Chile, Indien und Thailand, sind in diesem Zusammenhang besonders aktiv und haben knapp 70 % der insgesamt angestrengten Schlichtungsverfahren veranlasst. Viele dieser Verfahren (z.B. Brasilien / USA im Fall der Subventionen für Baumwolle) wurden zugunsten der initiierten Partei entschieden. Hierdurch zeigt sich zwar einmal mehr der Vorteil des rechtlich geschützten, einklagbaren WTO-Systems des multilateralen Handelsabkommens. Gleichzeitig schwächt der Erfolg der Entwicklungsländer in den WTO-Paneln jedoch auch die Bereitschaft, sich für den Abschluss im Rahmen des multilateralen Systems zu engagieren. Warum sollte sich ein Land für die langwierigen, ressourcenintensiven multilateralen WTO-Verhandlungen einsetzen, wenn Eigeninteressen vermeintlich viel schneller auf dem Weg der WTO-Schlichtungsverfahren durchgesetzt werden können?
Grundsätzlich gibt es hierfür zahlreiche Argumente. So zeigen beispielsweise alle Studien zu den WTO-Verhandlungen der Doha-Runde, dass die Implementierung der WTO-Verhandlungen für die Welt insgesamt, aber auch für die meisten der beteiligten Länder zu erheblichen Wohl-
fahrtsgewinnen und Zuwächsen im BIP führt. Nicht an den WTO-Verhandlungen beteiligte Länder verzeichnen dagegen häufig eine Stagnation oder sogar negative Entwicklungen.

Der größte Teil der Wohlfahrtsgewinne bzw. des Wirtschaftswachstums in Industrie- und Entwicklungsländern lässt sich durch eine multilaterale Liberalisierung des Agrarsektors erzielen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Kürzung der Importzölle zu, die einen überproportional hohen Wohlfahrtsgewinn hervorbringt.
Weiterhin zeigen die Studien zu den WTO-Verhandlungen, dass Entwicklungsländer bei Umsetzung der potentiellen Verhandlungsergebnisse größere Wohlfahrtsgewinne als Industrieländer realisieren. Ursache hierfür ist nicht nur der höhere Anteil des Agrarsektors am BIP, sondern auch die in Entwicklungsländern höhere durchschnittliche Agrarprotektion im Außenhandel. Zudem handeln viele Entwicklungsländer mittlerweile verstärkt untereinander, so dass die Umsetzung eines multilateralen Handelsabkommens und die damit einhergehende Senkung des Agrarprotektionismus vor allem dieser Ländergruppe zugute kommt. Nicht-multilaterale Handelsabkommen sowie WTO-Schlichtungsverfahren können zwar ebenfalls eine Liberalisierung des Agrarsektors bewirken. Da sie jedoch in den meisten Fällen auf den Handel zwischen Entwicklungs- und Industrieländern ausgerichtet sind, kann hiermit nicht der gleiche Effekt wie mit multilateralen Handelsabkommen erzielt werden. Zudem bieten insbesondere bilaterale und regionale Handelsabkommen meist keinerlei Handhabe, die inländische Stützung im Agrarbereich des Handelspartners zu reduzieren. Ein Abschluss der WTO-Verhandlungen mit einer stärkeren Öffnung der Agrarmärkte auch zwischen Entwicklungsländern würde somit dem originär deklarierten Zweck der Doha-Runde als „WTO-Entwicklungsrunde“ gerecht werden.

Schließlich sind die WTO-Verhandlungen und ihr erfolgreicher Abschluss jedoch auch ein Test für die Ernsthaftigkeit, mit der die internationale Gemeinschaft ihre Ziele im demokratischen Rahmen verfolgt und zum Nutzen aller Länder umsetzt. In diesem Sinne wäre es sicherlich wünschenswert, wenn der Abschluss der WTO-Verhandlungen eine Vorreiterrolle für weitere internationale Abkommen, wie beispielsweise die Nachfolge des Kyoto-Protokolls, einnimmt.

* Für diese und weitere quantitative Angaben siehe Bridges (http://www.ictsd.org), verschiedene Ausgaben.

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DIREKTORIN UND PROF. DR. MARTINA BROCKMEIER
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