Wohlstand, Wachstum und Verteilung: Die Entwicklungsländer in der Globalisierung der Weltagrarwirtschaft

Harald von Witzke

Published: 19.08.2005  〉 Jahrgang 54 (2005), Heft 6 (von 8)  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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N. A.

ABSTRACT

Mit Globalisierung wird die zunehmende Integration nationaler Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft bezeichnet. Sie schließt einen rasch wachsenden internationalen Handel von Gütern ebenso ein wie den Austausch von Produktionsfaktoren über nationalstaatliche Grenzen hinweg.

In der agrarökonomischen Forschung herrscht hinsichtlich der Auswirkungen der Globalisierung der Weltland- und
-ernährungswirtschaft auf Niveau und Wachstum der Wohlfahrt der am Prozess der Globalisierung beteiligten Länder seltene Einmütigkeit. Die Globalisierung wirkt sich sowohl für die reichen als auch für die armen und ärmsten Länder der Welt positiv aus.

Die Gründe hierfür sind überzeugend. Internationaler Handel erlaubt es den daran beteiligten Ländern, Handelsgewinne zu realisieren. Die zunehmende Marktöffnung führt darüber hinaus auch zu größeren Märkten, was externe und interne Skaleneffekte zur Folge haben kann, und sie intensiviert den Wettbewerb zwischen Unternehmen, was zu weiteren Effizienzgewinnen führt.

Die internationale Integration der Kapitalmärkte und die Öffnung nationaler Kapitalmärkte ermöglicht es besonders den Entwicklungsländern, die Ersparnisse der reichen Länder für Investitionen in die heimische Wirtschaft verfügbar zu machen. Ausländische Direktinvestitionen erhöhen nicht nur die Kapitalausstattung der armen Länder. Sie bringen darüber hinaus Humankapital und produktivere Technologien aus den reichen Ländern. Dies wiederum hat positive Spillover-Effekte auch auf heimische Unternehmen und erhöht die Profitabilität von Humankapitalinvestitionen in Entwicklungsländern. Selbstverständlich trägt auch die Erhöhung der Arbeitsmobilität zur Wohlfahrtserhöhung bei. Kurzum: Je stärker ein Land in die Weltwirtschaft integriert ist, desto höher ist sein Wohlstand und umso schneller ist das Wirtschaftswachstum. Da die Agrar- und Ernährungswirtschaft in den armen Ländern der Welt den wichtigsten Wirtschaftsbereich darstellt, kommt der Globalisierung dieses Sektors natürlich besondere Bedeutung zu.

Die Globalisierung ist ein ökonomisches Phänomen, das in den letzten Jahren besonders ins Licht der öffentlichen Diskussion und der politischen Kontroverse gerückt ist. Neu ist dieses Phänomen indes keineswegs. Die Globalisierung der Weltwirtschaft begann bereits seit etwa 1870 deutlich sichtbar zu werden. Sie hat sich seitdem in drei Wellen bis in die Gegenwart hinein fortgesetzt.

Die erste Welle der Globalisierung war von etwa 1870 bis 1914 zu beobachten. Sie wurde verursacht durch eine signifikante Verringerung internationaler Handelsbarrieren und durch technologische Fortschritte im Transportbereich, die die Transportkosten deutlich senken konnten, wie z.B. die Substitution von Segelschiffen durch Dampfschiffe und der Aufbau von Eisenbahnnetzen.

Sehr viel und für die Nahrungsgüterproduktion geeignetes Land war in der Neuen Welt verfügbar geworden. Um dieses aber auch tatsächlich zur Nahrungsgüterproduktion nutzen zu können, war eine ausgeprägte internationale Wanderung von Arbeitskräften erforderlich. Etwa 60 Millionen Menschen wanderten in dieser Zeit von Europa nach Amerika und Australien aus. Das waren 10 % der damaligen Bevölkerung in Europa. Landwirtschaftlich nutzbarer Boden war in der Neuen Welt relativ reichlich vorhanden. Den Bauern ging es wirtschaftlich daher gut. Auswanderung aus Europa führte aber auch zu einer Verknappung von Arbeitskräften in der Alten Welt und daher dort zu höheren Löhnen. Auch Kapital wanderte in großem Umfang aus der alten in die Neue Welt. Die Effekte auf die Kapitalverzinsung in der Alten und der Neuen Welt waren natürlich analog zu denen auf die Löhne.

Die beiden Weltkriege und die zwischen ihnen liegende Weltwirtschaftskrise mit dem damit verbundenen Rückgang der Globalisierung führten dann allerdings weltweit zu einer deutlichen Verringerung des Wohlstands.

Die zweite Welle der Globalisierung war etwa von 1945 bis 1980 erkennbar. Wieder waren technologische Neuerungen die zentralen Triebkräfte, die zu einem Rückgang der Transportkosten führten sowie die in GATT-Verhandlungen vereinbarten Reduktionen internationaler Handelsbarrieren. Diese Welle der Globalisierung erfasste vor allem die reichen Länder der Welt. Als Folge davon konvergierte die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder.

Die dritte Welle der Globalisierung begann um 1980. Seitdem haben internationale Bewegungen von Arbeit und Kapital stark zugenommen. Darüber hinaus begannen sich deutliche Unterschiede in Entwicklungsniveau und -geschwindigkeit der armen Länder der Welt abzuzeichnen. Einige bis dahin arme Länder unternahmen große Anstrengungen, um sich ökonomisch zu öffnen und in die Weltwirtschaft zu integrieren. Als Folge davon konnten sie hohe Wachstumsraten realisieren. Andere arme Länder haben sich dagegen abgeschottet und verharren in wirtschaftlicher Stagnation.

Viele Einsichten der Wirtschaftstheorie und auch die überwältigende empirische Evidenz haben Agrarökonomen und andere Wirtschaftswissenschaftler zu der nahezu einhelligen Auffassung gelangen lassen, dass die Globalisierung den Wohlstand, den es zu verteilen gilt, maximiert. Die Weltbank mahnt allerdings zu Recht, dass wir in unseren Forschungsbemühungen zu diesem Problemkomplex noch nicht nachlassen dürfen. "The accelerated growth of recent globalizers is consistent with other cross-country statistical analyses that find that trade goes hand-in-hand with faster growth. The most that these studies can establish is that more trade is correlated with higher growth and one must be careful about drawing conclusions on causality" (WORLD BANK, 2002: 5).

Auch wenn noch längst nicht alle kausalen Zusammenhänge zwischen Globalisierung, Wohlstand und Wirtschaftswachstum bekannt sind, so ist die empirische Evidenz doch so überwältigend, dass selbst in der öffentlichen Diskussion eine positive Beziehung zwischen Globalisierung einerseits sowie Wohlstand und Wachstum andererseits kaum mehr ernsthaft angezweifelt wird.

Anders verhält es sich mit den Verteilungswirkungen der Globalisierung. Hier ist nicht einmal die empirische Evidenz einfach zu interpretieren (UNCTAD, 2002). Von einer grundlegenden und umfassenden wirtschaftstheoretischen Fundierung der Verteilungswirkungen der Globalisierung existieren kaum mehr als erste Ansatzpunkte (SACHS, 1998; CLINE, 2004). So ist es denn nicht verwunderlich, dass nicht nur die öffentliche, sondern auch die wissenschaftliche Diskussion der Verteilungswirkungen der Globalisierung kontrovers geführt wird.

Als führende Vertreter der Globalisierungspessimisten hinsichtlich der Verteilungswirkungen zwischen armen und reichen Ländern sowie innerhalb der armen Länder haben sich z.B. KRUGMAN (1996) und STIGLITZ (2002) geäußert. Dagegen vertritt etwa BHAGWATI (2004) in dieser Hinsicht deutlich optimistischere Positionen.

Unterstützung haben die Verteilungspessimisten erfahren vom Human Development Report 1999 (UNDP, 1999: 30). Dort wird u.a. ausgeführt: "The new rules of globalization - and the players writing them - focus on integrating global markets, neglecting the needs of people that markets cannot meet. The process is concentrating power and marginalizing the poor, both countries and people". Belegt wird diese Einschätzung durch folgende empirische Evidenz: "Gaps in income between the poorest and the richest people have continued to widen. In 1960, 20% of the world’s people in the richest countries had 30 times the income of the poorest 20% - in 1997, 74 times as much. This continues the trend of nearly two centuries" (S. 36).

Auch manche Wissenschaftler sind zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt. "My reading of the evidence suggests that none of the eight alternative measures clearly shows that world income distribution has become more equal over the past twenty years. Some of the eight show varying degrees of increasing inequality" (WADE, 2001: 2).

DEININGER und SQUIRE (1996) kommen dagegen zu etwas differenzierteren Schlussfolgerungen. Sie weisen darauf hin, dass die empirische Evidenz keinen systematischen Zusammenhang zwischen Wachstum und Ungleichheit zeigt, dass aber eine starke und positive Beziehung zwischen Wachstum und Rückgang der Armut besteht. Viele andere Autoren kommen bei Auswertung der verfügbaren statistischen Informationen dagegen zu dem Schluss, dass durch die Globalisierung nicht nur die Armut in den Entwicklungsländern zurückgeht, sondern dass sich die Ungleichheit der Einkommensverteilung sowohl innerhalb der armen Länder, als auch zwischen ihnen verringert hat (z.B. SALA-i-MARTIN, 2002 a,b; MELCHIOR, 2001).

HERTEL et al. (2003) versuchen, die widersprüchlichen Ergebnisse der Verteilungswirkungen der Globalisierung dadurch besser zu verstehen, dass sie kurz- und längerfristige Effekte unterscheiden. Aber auch bei einer solchen Betrachtung ergibt sich ein uneinheitliches Ergebnis. "In summary, we find substantial cross-country differences between the short- and long-run. In Chile and Malawi, short-run poverty reductions are dampened in the long-run (even reversed in the case of Chile) ... The opposite is true in Vietnam, ..." (HERTEL et al., 2003).

Fragen von Allokation und Verteilung sind schon immer zentral für die agrarökonomische Forschung gewesen. Hinsichtlich der Allokationseffekte der Globalisierung der Weltagrarwirtschaft hat unsere Profession große Fortschritte gemacht. Bei der Analyse der Verteilungswirkungen stehen wir aber noch am Anfang.

Ausgewählte Literatur

BHAGWATI, J. (2004): In Defense of Globalization. Oxford University Press, Oxford.

CLINE, W. (2004): Trade Policy and Global Poverty. Center for Global Development, Washington, DC.

DEININGER, K. and L. SQUIRE (1996): A New Data Set Measuring Income Inequality. In: The World Bank Economic Review 10: 565-592.

HERTEL, T. et al. (2003) : Short- versus Long-run Implications of Trade Liberalization for Poverty in Three Developing Countries. In: American Journal of Agricultural Economics 85 (5): 1299-1306.

KRUGMAN, P. (1996): Pop Internationalism. MIT Press, Cambridge, MA.
MELCHIOR, A. (2001): Global Income Inequality. Beliefs, Facts and Unresolved Issues. In: World Economics 2 (3): 87-108.

SACHS, J. (1998): Unlocking the Mysteries of Globalization. In: Foreign Policy 110: 97-112.

SALA-i-MARTIN, X. (2002a): The Disturbing Rise of Global Income Inequality. NBER Working Paper 8904. Cambridge, MA.

- (2002b): The World Distribution of Income. NBER Working Paper 8933. Cambridge, MA.

STIGLITZ, J. (2002): Globalization and its Discontents. Norton, New York.

UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) (2002): The Least Developed Countries Report 2002. New York.

UNDP (United Nations Development Programme) (1999): Human Development Report 1999. Oxford University Press, Oxford.

WADE, R.H. (2001): The Rising Inequality of World Income Distribution. In: Finance and Development 38 (4): 1-5 bei http://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2001/12/wade.htm vom 10.03.2005.

WORLD BANK (2002): Globalization, Growth, and Poverty. Oxford University Press, Oxford.

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PROF. DR. DR. H.C. HARALD VON WITZKE
Humboldt-Universität zu Berlin,
Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät,
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