Tendenzen in der Anwendung internationaler
Rechnungslegungsvorschriften

Manfred Köhne, Christian Janze

Published: 12.08.2004  〉 Jahrgang 53 (2004), Heft 6 (von 8)  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
Submitted: N. A.   〉 Feedback to authors after first review: N. A.   〉 Accepted: N. A.
DOI:
N. A.

ABSTRACT

Gemäß der EU-Verordnung 1606/2002 vom 19.7.2002 sind kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen von Konzernen, die an einer Börse gelistet sind, verpflichtet, ab dem 1.1.2005 einen Konzernabschluss nach den internationalen Rechnungslegungsvorschriften (International Financial Reporting Standards - IFRS, bisher IAS) aufzustellen und zu publizieren.
Für Konzernabschlüsse nichtkapitalmarktorientierter Unternehmen sieht die EU- Verordnung ein Mitgliedstaatenwahlrecht vor. Gleiches gilt generell für alle Einzelabschlüsse. Die Bundesregierung setzt diese Vorgaben mit dem Bilanzrechtsreformgesetz in deutsches Recht um. Nach bisherigem Sachstand ist davon auszugehen, dass das Mitgliedstaatenwahlrecht bezüglich des Konzernabschlusses nichtkapitalmarktorientierter Unternehmen in Form eines Unternehmenswahlrechtes an die Unternehmen weitergegeben wird. Entsprechendes gilt auch für die Einzelabschlüsse. Allerdings wird die Anwendung der IFRS im Einzelabschluss auf den Informationszweck beschränkt bleiben (§§ 325-329 HGB). Für Fragen der Ausschüttung und Besteuerung sind weiterhin Abschlüsse nach dem HGB bzw. EStG oder KStG zu erstellen.
Die IFRS werden vom International Accounting Standards Board (IASB), einem privaten Rechnungslegungsgremium, in London erarbeitet. Im IASB arbeiten auch nationale private Rechnungslegungsgremien mit. In Deutschland wurde das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) als privates Rechnungslegungsgremium im Sinne des §342 HGB gegründet. Es vertritt Deutschland beim IASB und erarbeitet eigene Rechnungslegungsstandards. Auch der US-amerikanische Standardsetzer, der die US- GAAP entwickelt, ist im IASB vertreten. Ziel ist es, die zum Teil vorhandene Diskrepanz zwischen den IFRS und den US-GAAP abzubauen. Es zeichnet sich ab, dass sich die IFRS langfristig (zumindest außerhalb der USA) als globale Rechnungslegungsstandards durchsetzen werden. Von Bedeutung ist auch, dass die gegenwärtig geltenden IFRS in weiterer Bearbeitung sind, also auch noch Änderungen erfahren. In diesem Zusammenhang bemühen sich die Autoren, sachgerechte spezifische Regelungen für die Land- und Forstwirtschaft einzubringen.
Mit der obligatorischen Einführung des IFRS-Jahresabschlusses für kapitalmarktorientierte Konzernmutterunternehmen und der Zulassung freiwillig erstellter IFRS-Abschlüsse für alle anderen Unternehmen werden im Wesentlichen die drei folgenden Ziele verfolgt:

- Die Abschlüsse sollen besser als bisher international vergleichbar sein,

- die Abschlüsse sollen für die Kapitalanleger aussagekräftiger werden und

- die Vereinheitlichung der Rechnungslegung in der EU soll forciert werden.
Zahlreiche Konzernunternehmen im landwirtschaftsnahen Agribusiness sind von der EU- Verordnung betroffen. So wendet bspw. die Südzucker AG die IFRS bereits an und die KWS Saat AG bereitet die Anwendung vor. Originäre landwirtschaftliche Unternehmen sind nicht direkt von der EU- Verordnung betroffen. Allerdings plant die EU durch Modernisierung der 4. Richtlinie (Rechnungslegung für Kapitalgesellschaften) diese an die IFRS heranzuführen (Richtlinie 2003/51/EG). Dies hat unmittelbare Auswirkungen auch für das Rechnungswesen landwirtschaftlicher Kapitalgesellschaften.
Zurzeit gibt es in den Unternehmen in Deutschland, und dies gilt teils auch für den Agrarbereich, bis zu drei Jahresabschlüsse und zwar

- einen Abschluss für die Besteuerung,

- einen Abschluss gemäß HGB, falls das Unternehmen dem Handelsrecht unterliegt und

- einen internen betriebswirtschaftlichen Abschluss für unternehmensspezifische Entscheidungen.

Bei Konzernen kommt noch der Konzernabschluss hinzu. Zu den drei Abschlüssen der einzelnen Unternehmen tritt künftig noch ein IFRS-Abschluss, wenn diese Unternehmen freiwillig einen IFRS-Abschluss aufstellen. Diese Entwicklung ist, bis in die landwirtschaftlichen Einzelunternehmen hinein, nicht unwahrscheinlich. Denn die Unternehmen werden sich künftig für die Akquirierung von Kapital besser als bisher gegenüber den Kapitalgebern präsentieren müssen. In der Landwirtschaft erfolgt die Außenfinanzierung auch zukünftig i.d.R. über die Banken. In Verbindung mit den neuen Eigenkapitalregeln gemäß Basel II fordern diese mehr und fundiertere Informationen über die bisherige Entwicklung, den gegenwärtigen Stand und die Zukunftsperspektiven der Unternehmen. In diesem Zusammenhang ist nicht auszuschließen, dass die Banken künftig vermehrt IFRS-Abschlüsse verlangen werden.
Bei kleinen und mittleren Unternehmen, die dem Handelsrecht unterliegen, wird gegenwärtig häufig ein Einheitsabschluss erstellt. Dieser dient der Verpflichtung gemäß HGB und, nach gewissen Umarbeitungen, gleichzeitig auch der Besteuerung. Da die Regelungen des HGB und des Steuerrechts zunehmend auseinander driften, wird dies immer schwieriger. Ganz eindeutig ist, dass ein IFRS-Abschluss nicht für die Besteuerung verwendet werden kann. Dazu sind Konzeption und Ausfüllung zu unterschiedlich. Ferner ist anzumerken, dass sich der nationale Steuergesetzgeber
sicherlich nicht von einem privaten internationalen Rechnungslegungsgremium vorschreiben lassen wird, wie die Bemessungsgrundlage für Erfolgsbesteuerungen ermittelt werden soll. Schließlich ist auch hervorzuheben, dass die Eignung eines IFRS-Abschlusses für betriebswirtschaftliche Entscheidungen noch geprüft werden muss. Aufgrund dieser Aspekte ist davon auszugehen, dass u.U. künftig bis zu vier Jahresabschlüsse in den Unternehmen erstellt werden. In den landwirtschaftlichen Unternehmen, die nicht dem Handelsrecht unterliegen, werden es immer noch drei sein. Allerdings ist nicht ganz auszuschließen, dass der HGB-Abschluss in fernerer Zukunft ganz durch den IFRS-Abschluss verdrängt wird. Dies wird dann der Fall sein, wenn der Gesetzgeber auf andere Weise den Gläubigerschutz sicherstellt oder diesen, wie bspw. in den USA, ganz den Wirtschaftsakteuren überlässt.
In der Landwirtschaft kann auch noch eine weitere Entwicklung auf die Erstellung von IFRS-Jahresabschlüssen drängen. Die EU-Kommission prüft z.Z., ob die IFRS für das europäische Testbetriebsnetz (FADN) geeignet sind. Sollte es hier zu einer Anwendung der IFRS kommen, müssten aus den Mitgliedsländern IFRS-Abschlüsse geliefert werden. Da die Buchstellen jedoch in erster Linie steuerliche Abschlüsse erstellen, müsste dieses gesondert honoriert werden. Dies würde in der Umsetzung in Deutschland zu erheblichen Schwierigkeiten führen.
Was ist nun bei einem IFRS-Jahresabschluss anders als bei einem HGB-Abschluss und einem Abschluss nach dem deutschen Steuerrecht? Die beiden letztgenannten Abschlüsse sind gegenwärtig noch relativ eng miteinander verbunden. Unterschiedlich ist die Zielsetzung, hier Informationen, dort Bemessung der Ausschüttung oder der Steuer. Ein besonderer Unterschied liegt in der Grundkonzeption. Im deutschen Rechnungswesen gilt traditionell das Vorsichtsprinzip. Ausflüsse des Vorsichtsprinzips sind das Niederstwertprinzip, das Realisationsprinzip und das Imparitätsprinzip. Nach letzteren müssen noch nicht realisierte Verluste bilanziert, dagegen dürfen noch nicht realisierte Gewinne nicht bilanziert werden. Dies ist ganz anders bei IFRS. Hier sind noch nicht realisierte Gewinne zu bilanzieren, z.B. bei der Bewertung noch nicht vollständig hergestellter Verkaufserzeugnisse (so bspw. beim Feldinventar). Auch Gewinne aus der Höherbewertung von Aktiva dürfen erfolgswirksam verbucht werden. Bei der Bewertung von Bilanzpositionen gelten nicht die Anschaffungs- oder Herstellungskosten als Obergrenze. Vielmehr sind die Vermögenspositionen z.T. mit dem sog. Fair Value anzusetzen. Der Fair Value ist ein Marktwert in Form des am Bilanzstichtag voraussichtlich bei einer Veräußerung erzielbaren Preises. Dieser kann auch oberhalb der (bei abzuschreibenden Wirtschaftsgütern der fortgeführten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten liegen. Ein weiteres Beispiel einer "offensiveren" Bewertung ist die Bilanzierung selbsterstellter immaterieller Wirtschaftsgüter wie z.B. von Entwicklungskosten. Neben solchen, meistens vermögens- und erfolgserhöhenden Bewertungen durch die IFRS sind auch Beispiele mit eher gegenteiliger Wirkung zu nennen: Abschreibungen sollen nicht nach steuerlichen Regelungen, sondern nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführt werden. Dies dürfte häufig zu niedrigeren Abschreibungszeiten und damit zu höheren jährlichen Abschreibungen führen. Investitionszuschüsse dürfen nicht sofort erfolgswirksam verbucht werden, was gegenwärtig in Deutschland (neben anderen Verbuchungsmöglichkeiten) zulässig ist. Diese Auswahl wichtiger Bewertungsunterschiede zeigt, dass beträchtliche konzeptionelle Unterschiede bestehen. Wie sie sich materiell auswirken, dafür gibt es keine Generallinie. Je nach Verhältnissen des einzelnen Unternehmens kann sich die Vermögens-, Finanz- und Erfolgslage des Unternehmens nach IFRS günstiger oder auch ungünstiger darstellen als gemäß den Vorschriften des HGB.
An den HGB-Abschlüssen wird häufig kritisiert, dass bei ihrer Aufstellung zu viele Wahlrechte bestehen. Bei den IFRS-Abschlüssen dagegen gibt es explizit weniger Wahlrechte. In der Tat gibt es u.E. beim Konzernabschluss eine zu breite Palette von Wahlrechten, z.B. bei den in die Konsolidierung einzubeziehenden Unternehmen (§296 HGB), bei der Bewertung der Bilanzposten der Tochterunternehmen im Rahmen der Kapitalkonsolidierung (Buchwert- oder Neubewertungsmethode, § 301 Abs. 1, S. 2 HGB) oder bei der Behandlung eines derivaten Geschäftswertes sowie eines Unterschiedsbetrages aus der Kapitalkonsolidierung (§ 309 HGB). Diese und weitere Wahlrechte könnte allerdings auch der nationale Gesetzgeber im Rahmen des HGB abbauen. Beim Einzelabschluss ist besonders auf folgende Wahlrechte hinzuweisen, die es gemäß HGB, jedoch nicht gemäß IFRS gibt: Das Aktivierungswahlrecht beim derivaten Geschäftswert, die Füllung der Herstellungskosten, das Aktivierungswahlrecht beim Disagio, das Passivierungswahlrecht für Aufwandsrückstellungen sowie die Wahlrechte bei der Bilanzierung latenter Steuern. Aufgrund der wesentlich geringeren Wahlrechte bei den IFRS wurde und wird teils in der Literatur die Meinung vertreten, dass IFRS-Abschlüsse sicherere Informationen vermitteln als das HGB. In letzter Zeit mehren sich allerdings auch kritische Stimmen und dies u.E. zu Recht. Denn die IFRS schaffen Unsicherheiten an anderer Stelle: Die Bewertungen mit dem Fair Value sind teils recht unsicher. Häufig gibt es gar keine aktuellen Marktwerte oder diese sind stark schwankend. Soweit der Fair Value nicht aus dem Marktgeschehen ermittelt werden kann, können auch Ertragswerte und Ersatzwerte herangezogen werden. Erstere sind voll, letztere teils auch Zukunftswerte. Damit kommen Schätzwerte in das Rechnungswesen. Dies geschieht in viel größerem Ausmaß als in den HGB-Abschlüssen, z.B. bei der Ermittlung niedrigerer beizulegender Werte oder deren Wiederaufstockung gemäß Wertaufholungsgebot. Aufgrund der von dieser Seite kommenden Unsicherheiten können IFRS-Abschlüsse nicht generell als sicherer und aussagefähiger eingeordnet werden. Das Gleiche gilt für die Beurteilung ihrer Eignung für betriebswirtschaftliche Zwecke.
Der Trend zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsvorschriften bringt auch neue Herausforderungen für die Wissenschaft. Die Wissenschaft sollte bei der Weiterentwicklung der Rechnungslegungsstandards mitwirken. In diesem Rahmen sollte sie auch auf brancheneinheitliche Anwendungsleitfäden hinwirken, welche die Vergleichbarkeit der Abschlüsse weitgehend sicherstellen. Aufgrund der unterschiedlichen Konzeption und Ausfüllung der IFRS-Jahresabschlüsse gegenüber den HGB-Abschlüssen müssen auch die Auswertungen der Abschlüsse für Unternehmensanalysen angepasst werden. Die Aufbereitung der Abschlussdaten sowie die sachgerechte Füllung von Maßstäben zur Beurteilung der Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage müssen der Entstehung der unterschiedlichen Grunddaten Rechnung tragen. Schließlich muss die Wissenschaft die neuen Entwicklungen wie auch deren mögliche Rückwirkungen auf das HGB und möglicherweise auch auf steuerliche Abschlüsse aktuell und perspektivisch im Unterricht vermitteln.

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PROF. DR. MANFRED KÖHNE und CHRISTIAN JANZE
Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Agrarökonomie
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Tel.: 05 51-39 48 42, Fax: 05 51-39 20 30
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