Regionalisierung versus Globalisierung

Michael Besch

Published: 01.11.1999  〉 Heft 11/1999  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
Submitted: N. A.   〉 Feedback to authors after first review: N. A.   〉 Accepted: N. A.
DOI:
N. A.

ABSTRACT

Mit der Gegenüberstellung von "Regionalisierung" und "Globalisierung" werden sicher zwei der am häufigsten gebrauchten Schlagworte der letzten Jahre zusammengebracht. Schaut man sich in der Agrar- und Ernährungswirtschaft um, so könnte das Wort des Jahres durchaus "Regionalisierung" heißen. Regionale Marken und Herkunftszeichen haben Hochkonjunktur. In allen Bundesländern, aber auch auf europäischer Ebene werden regionale Vermarktungskonzepte, ja selbst lokale Ursprungsbezeichnungen gefördert. Andererseits vergeht kaum ein Tag, ohne daß über die "Globalisierung" in der öffentlichen Diskussion gesprochen wird. Was steckt hinter diesem komplexen Be griff, der nur noch selten positiv in der Entstehung der "Einen Welt" gesehen wird, sondern meist als eine dumpfe Bedrohung empfunden wird?Zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen sollen zu nächst kurz die Antriebskräfte der Globalisierung vorgestellt werden. Dann wird ein Überblick über den Stand der Internationalisierung in der Agrar- und Ernährungswirtschaft gegeben. Mit der Diskussion der Problemfelder der Globalisierung werden die Antriebskräfte der Regionalisierung herausgestellt. Schließlich wird eine Abwägung der beiden Prozesse versucht.Die grundlegenden Antriebskräfte der Globalisierung sind sicher die enormen technischen Fortschritte im Verkehrswesen und in der Informations- und Kommunikationstechnologie, die zu einem starken Rückgang der Transport- und Kommunikationskosten geführt haben. Die Folge war die überproportional starke Zunahme des Welthandels mit Fertigprodukten, Teilen und Rohstoffen, aber auch der Aufbau von weltweit vernetzten Systemen für einen zeit- und distanzlosen Handel mit Informationen, Finanzprodukten und Dienstleistungen. Voraussetzung für die globale Wirksamkeit dieser technischen Fortschritte waren aber die ökonomischen Veränderungen infolge der Ausbreitung der industriellen Revolution über die ganze Erde. Als Folge der Industrialisierung erfaßt der soziale Wandel der Neuzeit, der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft immer mehr Länder der Dritten Welt. Schließlich kann die zunehmende internationale Zusammenarbeit seit Ende des II. Weltkrieges als politische Antriebskraft für die Globalisierung herausgestellt werden.Ausgehend von den dargestellten technischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen hat bereits 1983 T. Levitt in seinem Artikel "The Globalization of Markets" (Harvard Business Review 61, May/June) eine weltweite Homogenisierung der Wünsche, die Herausbildung einer globalen Kultur prophezeit. Ebenso würden sich die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systeme einander angleichen. Infolgedessen müßten die Unternehmen der Zukunft weltweit operieren und eine globale Standardisierung von Gütern und Dienstleistungen vornehmen. Mit den dadurch erwirtschafteten Kostenvorteilen könnten die lokalen Konkurrenten aus dem Markt gedrängt werden.Vergleicht man den gegenwärtig erreichten Grad der weltweiten Vernetzung der Märkte, der Unternehmen, der Menschen und der Politik mit diesen Zukunftsvisionen, so erscheint "Globalisierung" als ein hypothetischer Endzustand eines langfristigen Entwicklungsprozesses. Der Weg dorthin wäre besser als "Internationalisierung" zu bezeichnen. Dabei steht der Begriff der Internationalisierung für einen Prozeß der internationalen Verflechtung der Wirtschaft, der Politik und vieler Lebensbereiche, der in Richtung einer globalen Vernetzung fortschreitet, wobei das Ausmaß des bereits erreichten Grades der Globalisierung von Bereich zu Bereich, Land zu Land und Branche zu Branche verschieden ist.Das kann am Beispiel der Agrar- und Ernährungswirtschaft gut demonstriert werden. Im Bereich der Agrarmärkte ist die Internationalisierung weit fortgeschritten. Auf der Beschaffungsseite der landwirtschaftlichen Betriebe, auf den Märkten für Futtermittel, Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Energie, Ackerschlepper und Landmaschinen haben wir es mit global vernetzten Weltmärkten zu tun. Mit Ausnahme der Futtermittelindustrie werden diese Branchen von weltweit operierenden multinationalen Konzernen beherrscht. Aber auch auf der Absatzseite sind die landwirtschaftlichen Betriebe zunehmend in die Welt märkte für Agrarprodukte eingebunden. Nachdem die Europäische Gemeinschaft in den 70er und 80er Jahren auf wichtigen Märkten (Getreide, Zucker, Milcherzeugnisse, Rindfleisch) zum Nettoexporteur geworden ist, wird das agrarpolitische Geschehen mehr und mehr von der Einbindung in die globalen Märkte beeinflußt.Auch in der Lebensmittelherstellung finden wir eine Reihe von multinationalen Konzernen, wie Unilever, Nestlé, Philip Morris. Diese Unternehmen sind jedoch Mischkonzerne, d.h. sie produzieren eine Vielzahl von Marken aus verschiedenen Produktbereichen, wobei durch aus auf unterschiedliche Konsumgewohnheiten in den einzelnen Teilen und Ländern der Erde eingegangen wird. Echte "Global Players" sind eigentlich nur jene Konzerne der Ernährungswirtschaft, die weltweit die gleichen Produkte anbieten, wie die bekannten Softdrink- und Fastfood-Hersteller. Dagegen operiert nach wie vor die große Mehrheit der Lebensmittelhersteller in ihrem Stammland, höchstens im Bereich einiger benachbarter Länder. Ebenso haben die regionalen Märkte nach wie vor ihre Bedeutung.Ähnliches gilt auch für den Lebensmittelhandel. Während in den 70er und 80er Jahren die großen europäischen Handelskonzerne EG-weite Kooperationen und Übernahmen mit dem Ziel der "Eurodistribution" anstrebten, kam in den 90er Jahren die Ausdehnung in den mittel- und osteuropäischen Raum hinzu. Daneben haben sich einige deutsche, französische, britische und holländische Unternehmen zunehmend in Übersee engagiert. Mit ganz wenigen Ausnahmen machen jedoch auch die europäischen Handelsgiganten nach wie vor den weitaus größten Teil ihrer Umsätze in ihren Stammländern bzw. auf dem europäischen Kontinent.Eine differenzierte Verhaltensweise finden wir auch bei den Verbrauchern. Wie von uns durchgeführte Untersuchungen in ausgewählten europäischen Ländern im Vergleich zu den USA zeigen, gibt es durchaus eine Tendenz zur Internationalisierung der Ernährungsgewohnheiten, die durch den weltweiten Güteraustausch und durch die Angleichung der Lebensweise bedingt ist. Hierunter fallen die Übernahme von hochverarbeiteten und Convenience-Produkten sowie Veränderungen in der Mahlzeitenfolge und eine zunehmende Auflösung der häuslichen Tischgemeinschaft. In der Schnelligkeit der Angleichung gibt es aber beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und zwischen städtischen und ländlichen Gebieten.Weitere Anstöße zur Internationalisierung der Ernährungsweisen gehen von der zunehmenden Mobilität der Menschen aus. Während der Massentourismus nur kurzzeitige interkulturelle Kontakte schafft, führt die Migration zu einem dauernden Austausch. Dabei sind Ernährungsweisen zwar ein zentraler, aber friedlicher Bestandteil der ethnischen Identität. So halten einerseits viele Immigrantengruppen beharrlich an traditionellen Speisen und Verzehrssitten fest. Andererseits erfolgt ein reger Austausch zwischen den Minderheiten und der eingesessenen Bevölkerung. Aber auch hier finden wir eine bewußte Gegenwehr gegen eine als zu groß empfundene Überfremdung der ein heimischen Ernährung: Nicht nur in Indien, sondern kürzlich auch in Südwestfrankreich wurde eine McDonald's-Filiale gestürmt; akuter Anlaß waren amerikanische Strafzölle gegen französischen Spezialitäten, aber auch der allgemeine Protest gegen die Globalisierung und die "malbouffe améri caine".Von der Darstellung der Antriebskräfte der Globalisierung über die Betrachtung des gegenwärtig erreichten Internationalisierungsgrades in der Agrar- und Ernährungswirtschaft sind wir nunmehr auf die Problemfelder der Globalisierung gestoßen - und die liegen offensichtlich im Verhalten der Menschen. Wir finden hier eine merkwürdige Zwiespältigkeit. Einerseits nimmt die internationale Orientierung der Menschen bis hin zu einer globalen Interessiertheit zu. Nicht nur der weltweite Güter- und Informationsaustausch und die Massenmobilität haben das Gefühl für die Einheit der Welt gefördert, sondern auch die ökologischen Probleme und die allmähliche Einsicht in die Begrenztheit der Erde und ihrer Ressourcen. Andererseits wachsen Abgrenzungsbestrebungen und Konflikte zwischen den einzelnen ethnischen und kulturellen Gruppen innerhalb und zwischen den Staaten.Überfordert die Globalisierung den Menschen? Ist der Spagat zu groß, den die weltweite Orientierung einerseits und das Bemühen "mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben" andererseits, dem Menschen abverlangt?In diesem Zusammenhang erscheinen Bestrebungen zur Regionalisierung, d.h. die Entwicklung einer begrenzten ökonomischen, kulturellen und politischen Selbständigkeit regionaler Einheiten durchaus als ein natürliches Gegengewicht gegen eine als übermächtig empfundene Globalisierung. Hierbei ist zu beachten, daß sozio-ökonomische Umwälzungen wie die zunehmende Internationalisierung in Form sozialer Diffusionsprozesse ablaufen, also Zeit beanspruchen, von einzelnen Gruppen unterschiedlich schnell aufgenommen werden und eben auch Gegenbewegungen hervorrufen. Es wird daher immer Personen und Gruppen geben, die auf regionale Programme eher ansprechen als andere.Neben dieser sozialen und kulturellen Differenzierung lassen sich aber auch einzelne Lebensbereiche und Gütergruppen abgrenzen, die sich unterschiedlich für eine Internationalisierung eignen. Wie vergleichende Untersuchungen in verschiedenen Branchen zeigen, sind es die Verwendungsmöglichkeiten der Produkte und damit die Nachfragebedingungen, die eine internationale und globale Verbreitung fördern oder begrenzen. So sind bei einigen Investitions- und Verbrauchsgütern, wie bspw. Flugzeuge, Baumaschinen, aber auch Uhren, Schmuck, Foto- und Sportartikel, Unterhaltungselektronik, die Möglichkeiten der Standardisierung und damit die Globalisierungsvorteile hoch. Dagegen gehören Nahrungsmittel zu den Produkten mit starker regionaler Differenzierung und entsprechend großen Lokalisierungsvorteilen. Ursache hierfür sind die ausgeprägten regionalen und landsmannschaftlichen Verzehrsunterschiede, die sich trotz steigender Angleichungstendenzen bisher erhalten haben. Allerdings bestehen auch hier erhebliche Unterschiede bei den einzelnen Lebensmitteln und den verschiedenen Verbrauchergruppen. Im allgemeinen gilt, je höher das Nahrungsmittel verarbeitet ist, desto weniger spielt die Herkunft der Rohstoffe noch eine Rolle, desto mehr verlagert sich das Vertrauen der Verbraucher auf den Hersteller. Umgekehrt bildet die nationale oder regionale Herkunft bei landwirtschaftlichen Frischprodukten ein wichtiges Verkaufsargument. Diese Rangordnung kann aber durch ein Auftreten von Lebensmittelskandalen bei bestimmten Produkten und bestimmten Herkünften vollkommen verändert werden.Aus den vorangegangenen Überlegungen folgt, daß regionale Märkte für Lebensmittel auch bei steigender Internationalisierung durchaus Chancen bei vielen Verbrauchern behalten werden. Ebenso folgt aber daraus, daß solche Märkte den Charakter von Marktnischen haben, die sich neben den nationalen und internationalen Märkten bewähren müssen. Voraussetzung hierfür ist die Entwicklung einer regionalen Marketingkonzeption, welche die Einzigartigkeit der Region und ihrer Produkte in den Mittelpunkt stellt und dieses nach außen, zu den Kunden und Lieferanten kommuniziert, aber auch nach innen an die Beteiligten vermittelt. Nach unseren Untersuchungen sind es vor allem regionale Verbundprojekte, die durch die Einbindung der verschiedenen Branchen des Agribusiness, aber auch anderer gesellschaftlicher Gruppen und der Verbraucher, ein Mindestmaß an regionaler Solidarität entwickeln können, das für den langfristigen Erfolg Voraussetzung ist.Ist die Regionalisierung eben doch nur eine Gegenreaktion, der Rückgriff auf das Vertraute angesichts der wachsenden weltweiten Verflechtung der Märkte, der Unternehmen und des Konsums? Wird der regionale Bezug bei weiter fortschreitender Internationalisierung immer weniger Bedeutung haben und schließlich irgendwann verschwunden sein? Unsere Betrachtung der Antriebskräfte und der Problemfelder der Globalisierung dürfte gezeigt haben, daß das zumindest für die uns betreffenden Bereiche auf absehbare Zeit nicht der Fall sein wird. In Anbetracht der menschlichen Entwicklungsgeschichte werden die räumliche Nähe, die kulturelle Zugehörigkeit und der historische Bezug immer wichtige Wurzeln der menschlichen Existenz bleiben, obgleich sich sicher die Bezugsrahmen verändern werden.Somit ist abschließend festzuhalten, daß es bei dem Gegensatzpaar "Globalisierung versus Regionalisierung" nicht um ein Entweder-Oder gehen kann, sondern nur um ein, allerdings spannungsreiches, Sowohl-als-auch. Denn diese Spannungen wurzeln im menschlichen Verhalten und deswegen können sie nicht nach einer Richtung hin gelöst werden, sondern sie müssen ausbalanciert werden.

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Prof. Dr. Michael Besch, Professur für Marktlehre der Agrar- und Ernährungswirtschaft der Technischen Universität München, Alte Akademie 14, 85350 Freising-Weihenstephan
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