Die Doha-Entwicklungsrunde: Gut oder schlecht für Entwicklungsländer?

Christina Mönnich

Published: 15.03.2004  〉 Jahrgang 53 (2004), Heft 3 (von 8)  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

Im September letzten Jahres fand im mexikanischen Cancún eine WTO-Ministerkonferenz statt. Da die WTO-Verhandlungen im Rahmen der Ende 2001 ausgerufenen Doha-Entwicklungsrunde kaum Erfolge erzielt hatten, sollte dieses hochrangige Treffen den Verhandlungen neuen Schwung verleihen. Als es ohne Einigung beendet wurde, zeigten die Medien Bilder jubelnder entwicklungspolitischer Aktivisten. Ist dieser schwere Rückschlag für die Doha-Runde tatsächlich ein Grund zum Jubeln? Wohl kaum. Bezeichnenderweise hatten sowohl die Weltbank als auch die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation Oxfam im Vorfeld vor einem Scheitern des Cancún-Treffens gewarnt. Besonders im Agrarsektor würden große Chancen für Entwicklungsländer vertan, wenn nicht weiter liberalisiert werde.Allerdings war der Agrarsektor wieder einmal ein besonders heikles Verhandlungsthema. Viele Entwicklungsländer sind frustriert, da die letzte Welthandelsrunde, die Uruguay-Runde (1986-94), nicht die erhofften Wirkungen hatte. Klassische Protektionsinstrumente wurden zwar häufig modifiziert, aber das Protektionsniveau blieb im Allgemeinen sehr hoch. Zum Beispiel wurden Importquoten meist einfach durch gleich große Zollkontingente ersetzt, deren ökonomische Wirkung identisch ist: Der Zollsatz, der bei Überschreitung der Quotenmenge erhoben wird, ist prohibitiv hoch, so dass der relevante Unterschied zwischen klassischen Importquoten und Zollkontingenten faktisch irrelevant ist. Themen, die in der Uruguay-Runde neu aufkamen, brachten oft neue Schwierigkeiten für Entwick-lungsländer mit sich. Um beispielsweise sanitäre und phytosanitäre Standards einhalten und kontrollieren zu können, sind häufig kostspielige technische Ausrüstungen und gut ausgebildetes Personal notwendig. 1) Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Anliegen der Entwicklungsländer in Cancún große Aufmerksamkeit erfahren haben. Hierzu hat auch eine als G-21 bekannt gewordene Koalition von Entwicklungsländern beigetragen, die von den Industrieländern einen viel weitreichenderen und schnelleren Protektionsabbau als von Entwicklungsländern fordert. Dieses Bündnis, das von Brasilien, China und Indien angeführt wird, kann für sich beanspruchen, die Hälfte der Weltbevölkerung und zwei Drittel aller Landwirte zu vertreten. Dies und die vielbeachtete Tatsache, dass erstmals die Gruppe der Entwicklungsländer sehr geschlossen aufgetreten ist, hat diesen Forderungen großen Nachdruck verliehen. Dass die Agrarpolitiken der Industrieländer den Entwicklungsländern in Summe schaden, gilt inzwischen allgemein als unbestritten. Die konkreten Auswirkungen unfairer Handelspraktiken auf afrikanischen Baumwollproduzenten haben hierbei besonders große Publizität genossen. Laut dem Economist (vom 06.09.2003) erhalten die 25.000 US-amerikanischen Baumwollfarmer jährlich $ 4 Mrd. Subventionen für einen Produktionswert von $ 3 Mrd., was unter anderem die Preise für die 11 Millionen westafrikanischen Produzenten, die weitaus kostengünstiger produzieren, drückt und deren Exporte verdrängt. Die Initiative von Benin, Burkina Faso, Tschad und Mali, die die Reduzierung bis zur vollständigen Beseitigung der Baumwollsubventio-nen und zwischenzeitliche Entschädigungszahlungen fordert, ist dementsprechend auf viel Sympathien gestoßen. Zweifelsohne ist es sehr zu bedauern, dass durch das Scheitern der Ministerkonferenz keine konkreten Ergebnisse erzielt werden konnten; weder für die armen Betroffenen dieses noch anderer unrühmlicher Beispiele von schädlichen Praktiken der Industrieländer. In vielen anderen Sektoren wären solcherlei Initiativen auch sehr berechtigt. Die Weltbank und viele andere entwicklungspolitische Organisationen vergleichen häufig die hohen Kosten des Agrarprotektionismus der Industrieländer mit den geleisteten Entwicklungshilfezahlungen - ein Vergleich, der von den Medien gerne aufgegriffen wird. Allerdings entstehen durch Protektionismus in den eigenen Reihen der Entwicklungsländer auch große Wohlfahrtsverluste. Eine aktuelle Studie der Weltbank kommt zu dem Ergebnis, dass eine weitreichende Liberalisierung des Agrarsektors zu einem statischen Wohlfahrtsgewinn von $ 101 Mrd. für Entwicklungsländer führen würde. Von diesen $ 101 Mrd. wären $ 80 Mrd. auf eigene Liberalisierungsmaßnahmen der Entwicklungsländer zurück zu führen. 2) Ein Kommentator begründet dies schlicht, aber sicherlich zutreffend: -Auf dem Pfad der Entwicklung ist es zunächst einfacher, an den Nachbarn zu exportieren als mit westlichen Unternehmen auf deren Heimatmärkten zu konkurrieren.- (Süddeutsche Zeitung, 16.09.2003). Dass solche Zahlen vergleichsweise wenig mediale Beachtung bekommen, ist verständlich. Zur Koalitionsbildung innerhalb der Entwicklungsländer war es wahrscheinlich unerlässlich, die eigenen Handelsbarrieren tief zu hängen. Dadurch bleiben aber große Potenziale zur Wohlfahrtssteigerung ungenutzt. Den ärmsten aller Länder würde Handelsliberalisierung allerdings kaum helfen, zumindest kurzfristig nicht. Wie die Weltbank hinweist, lebt die Mehrzahl der von Armut betroffenen Menschen, die von den oben genannten statischen Wohlfahrtsgewinnen profitieren würden, in Ländern, die nicht als least developed countries eingestuft werden. Dort sind häufig interne Hemmnisse wie ungenügende Infrastruktur und mangelndes Know-how dafür verantwortlich, dass diese Länder kaum am internationalen (Agrar-)handel teilnehmen. Folglich helfen Präferenzen für least developed countries, wie sie oft zugestanden oder angeboten werden, vergleichsweise wenig. Außerdem klammern sie meist die Produkte aus, die für die Exportländer am wichtigsten sind. Verlässlich sind die unilateral gewährten Präferenzen obendrein nicht. Hier ist also direkte Hilfe viel effektiver, um das Los der Menschen zu verbessern - und häufig auch notwendig, um die langfristigen Chancen eines unverzerrten Weltmarktes für den eigenen Agrarsektor nutzen zu können. Für die Entwicklungsländer wiederum, die unmittelbar von mehr Handel profitieren würden und zu denen, grob gesagt, die G-21 zählt, ist es ein fragwürdiger Erfolg, mit einer Stimme gesprochen zu haben, wenn die Verhandlungen, die auf niedrigerer Regierungsebene weitergeführt werden, nicht bald zu greifbaren Fortschritten und letztlich zu realen Gewinnen führen. Sonst ist zu erwarten, dass die großen Handelsmächte ihre schon laufenden Bemühungen um bilaterale Verträge, die sie noch eher an ihre speziellen Wünsche anpassen können, noch forcieren. Es liegt in der Logik bilateraler oder regionaler Verträge, dass die Möglichkeiten der Entwicklungsländer, dort Koalitionen zu bilden, entweder nicht existieren oder sehr begrenzt sind. Auch wenn die Erfahrung vergangener Welthandelsrunden zeigt, dass Fortschritte sehr häufig sehr zäh sind und sowieso erst nach Fristablauf erzielt werden, ist ein positiver Ausgang der Doha-Runde fraglich - es stehen schließlich noch weitere schwierige Themen auf der Agenda. Es bleibt abzuwarten, ob hinter den allgemeinen Bekundungen, es bestehe weiterhin der gute Wille zu Verhandlungsfortschritten, echte Kompromissbereitschaft steht oder ob - wie von vielen Kommentatoren befürchtet - die WTO in der Bedeutungslosigkeit versinken wird. Dies mag der Traum mancher entwicklungspolitischer Aktivisten sein. Doch ungeachtet vieler Kritikpunkte, die sich gegen die WTO zweifellos anbringen lassen, wäre dies für die Entwicklungsländer überhaupt kein Grund zum Jubeln.

1) Mit diesen Themen befasst sich das von der Volkswagen-Stiftung geförderte Projekt - Institutionelle Ausgestaltung der Liberalisierung des internationalen Agrarhandels nach GATT: Tatsächliche Liberalisierungseffekte und Vorschläge zur weiteren Steuerung im Liberalisierungsprozess- unter der Federführung von Prof. Dr. Herrmann, Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen, http://www.uni-giessen.de/zeu/Sektion4.html#Agrarhandel.

2) Industrieländer senken ihre Zölle auf Agrargüter auf durchschnittlich 5 % und maximal 10 %. Entwicklungsländer senken ihre Zölle auf Agrargüter auf durchschnittlich 10 % und maximal 15 %. Weiterhin umfasst das Liberalisierungsszenario die Abschaffung aller Exportsubventionen, die Entkopplung aller internen Subventionen, die Abschaffung von Stückzöllen, Zollkontingenten und Antidumpingzöllen und -sanktionen. WORLDBANK (2003): Global Economic Prospects 2004. Realizing the Development Promise of the Doha Agenda. http://www.worldbank.org/prospects/gep2003/full.pdf

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CHRISTINA MÖNNICH
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