Bewertung nicht-marktfähiger Leistungen der
Landwirtschaft – eine Herausforderung für die Forschung

Karin Holm-Müller

Published: 04.12.2003  〉 Jahrgang 52 (2003), Heft 8 (von 8)  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

Der Begriff der "Multifunktionalität" der Landwirtschaft weist darauf hin, dass von der Landwirtschaft auch Leistungen erbracht werden, die nicht über den Markt abgegolten werden. Dieses Konzept wurde 1997 in der EU das erste Mal in einer Erklärung des Rates der Agrarminister verwendet, in der auf die Beiträge der Landwirtschaft u.a. zur Bewahrung der Landschaft und der natürlichen Ressourcen sowie auf die Notwendigkeit einer Kompensation für diese Leistungen hingewiesen wurde (COUNCIL OF THE EUROPEAN UNION, 1997). 1998 wurde es von der OECD übernommen. Insbesondere Vertreter der CAIRNS-Gruppe, in der 18 Länder aus Lateinamerika, Afrika, Asien sowie Neuseeland vertreten sind, sehen dabei aber die Gefahr, dass mit dem Konzept neue handelsverzerrende Subventionen begründet werden (UNITED NATIONS COMMISSION ON SUSTAINABLE DEVELOPMENT, 2000).

Da nicht-marktfähige Leistungen der Landwirtschaft immer als Kuppelprodukte marktmäßiger Produktion auftreten, wird jegliche Unterstützung des einen Produktes eine Auswirkung auf das andere Produkt haben. Damit besteht unumstritten die Gefahr eines Missbrauches des Konzepts der Multifunktionalität als handelsverzerrende Maßnahme zugunsten der europäischen Landwirte. Zwar gibt es in der WTO-Vereinbarung über Landwirtschaft von 1994 die Festlegung, dass erlaubte "Green-box-fähige" Zahlungen aus Umweltgründen auf die Zusatzkosten für die Umweltleistungen zu beschränken sind. Wenn die Honorierung die Zusatzkosten tatsächlich genau ausgleichen würde, hätten solche Zahlungen keine handelsverzerrenden Wirkungen. In der Praxis sind sie jedoch immer noch regelmäßig an kaum nachvollziehbaren Durchschnittswerten orientiert. Auch wenn die Schätzungen von AHRENS u.a., die Einkommenswirkungen von bis zu 90% der Prämien in manchen Agrarumweltprogrammen ermitteln (AHRENS, LIPPERT und RITTERSHOFEN, 2000: 105), unter Umständen nicht alle Opportunitätskosten berücksichtigen, so zeichnen sie doch ein deutliches Bild, das die Notwendigkeit für eine stärkere Ausrichtung der Zahlungen an Kosten und Nutzen der Umweltleistungen deutlich macht.

Dieses ist nicht nur notwendig, um in der nächsten WTO-Runde besser positioniert zu sein, sondern in erster Linie, um einen sinnvollen Einsatz knapper öffentlicher Mittel zu gewährleisten. Abgesehen von einer Begründung über reine Einkommensziele für die Landwirtschaft, die in der Öffent-lichkeit auf wenig Verständnis treffen dürfte, ist selbst eine reine Kompensation von Zusatzkosten nur dann gerechtfertigt, wenn die dabei erbrachten Leistungen auch einen entsprechenden Nutzen stiften. Sind die Leistungen gesellschaftlich erwünscht, so ist bei entsprechender Zahlungsbereitschaft unter Umständen auch eine Zahlung über die Zusatzkosten hinaus volkswirtschaftlich gerechtfertigt, wenn dies der kostengünstigste Weg ist, Agrarprodukt und öffentliches Gut zu erstellen (HOLM-MÜLLER und WITZKE, 2002). Voraussetzung ist jedoch eine entsprechend hohe gesellschaftliche Wertschätzung des öffentlichen Gutes. Je mehr Mittel in die zweite Säule der Agrarpolitik fließen, um so dringender wird der Bedarf an einer effizienten Verwendung und überzeugenden Begründung dieser Mittel. Damit nimmt auch der Bedarf an Erkenntnissen über den Nutzen aus der landwirtschaftlichen Kuppelproduktion zu.

Dennoch werden in der Praxis relativ selten Forderungen nach einer Orientierung der Zahlungen an den monetär gemessenen Nutzen der nicht-marktfähigen Leistungen der Landwirtschaft gestellt. Diese Zurückhaltung liegt in den Problemen, denen sich die Bewertungsverfahren immer noch ausgesetzt sehen. Dies sind in erster Linie die "alten" Probleme der direkten und indirekten Verfahren: Die Interpretation der Ergebnisse indirekter Verfahren ist von vielen Annahmen abhängig, die Ergebnisse der direkten Verfahren leiden darunter, dass ihnen kein aktuelles Verhalten gegenübersteht (vgl. z.B. AHLHEIM und FRÖR in diesem Heft).

Die Probleme, die sich aus einer nutzenorientierten Honorierung für die Multifunktionalität landwirtschaftlicher Produktion ergeben, sind aber u.U. noch größer als die allgemeinen Probleme der Bewertungsverfahren. Viele Maßnahmen setzen auf einer lokalen Ebene an, stiften aber nur einen Teil ihres Nutzens auf dieser Ebene. So stiftet z.B. der Erhalt alpiner Landwirtschaft nicht nur direkten Nutzen in Form von Erlebniswerten, sondern auch indirekten Nutzen in Form von Options- und Existenzwerten. Dieser fällt aber bei Personen an, für die vielleicht auch der Erhalt der Heidelandschaften in Norddeutschland einen indirekten Nutzen hat. Damit gibt es ein Problem der Aggregation von Einzelwerten, die z.B. bei Untersuchungen über lokale Projekte gewonnen werden. Eine einfache Addition führt zu erheblichen Überschätzungen, weil viele Befragte ihre Zahlungsbereitschaftsangabe für ein spezifisches Gut reduzieren, wenn sie auch für andere Güter um Zahlungsbereitschaftsangaben gebeten werden (vgl. z.B. MEYERHOFF in diesem Heft). Aus demselben Grund sind auch die Werte für Einzelprojekte bei Einbeziehung von Nicht-Nutzenwerten bzw. Optionswerten überhöht. Der viel diskutierte Embedding-Effekt (KAHNEMANN undKNETSCH, 1992) ist also im Falle der Multifunktionalität besonders problematisch. RANDALL (2002) schlägt zur Bewältigung dieses Problems vor, zuerst einmal für ganz Europa ("on a continental scale" (ebda. S. 9)) den Wert der Multifunktio-nalität zu ermitteln und diesen dann als Obergrenze für die Summe aller Einzelprojekte zu verwenden.

Dies ist sicher ein bedenkenswerter Vorschlag. Er bringt aber eine Reihe neuer ungelöster Probleme mit sich. Wie soll beispielsweise die "Kalibrierung" von Einzelprojekten an der Gesamtsumme erfolgen, solange nicht jedes denkbare Projekt in Europa bewertet wurde? Wie sollen die Definitions- und Informationsprobleme für eine solche kontinentweite Bewertung gelöst werden, wenn gerade auf der Ebene der besonders stark mit Options- und Existenzwerten beladenen Biodiversität bereits die Definition und Information auf lokaler Ebene ein großes Problem darstellt? Multifunktionalität und selbst jede einzelne ihrer Dimensionen wie z.B. die bereits erwähnte Biodiversität ist kein klar definiertes Gut, sondern kann ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Welche Attribute interessieren die Bevölkerung? Wie kann für eine solche Vielzahl an denkbaren Attributen und Ausprägungen eine sinnvolle Bewertung erreicht werden? Ist hier ein top-down-Ansatz überhaupt denkbar?

Ob man den Vorschlag von RANDALL akzeptiert oder nicht, die Bewertungsforschung steht immer noch vor einer Reihe spannender, ungelöster Fragen. Die Suche nach neuen Möglichkeiten, mit diesen Problemen fertig zu werden, spiegelt sich auch in den Beiträgen des vorliegenden Heftes der "Agrarwirtschaft" wider.

Im Eingangsbeitrag "Bewertung nicht-marktlicher Agrarproduktion" übernehmen es MICHAEL AHLHEIM und OLIVER FRÖR, einen Survey über neuere Entwicklungen in der Bewertungsforschung zu erstellen. Nach einem kurzen Rückblick auf die wohlfahrtstheoretischen Grundlagen der monetären Bewertung stellen sie altbekannte wie neuere Methoden der Bewertung mit ihren Problemen und aktuellen Anwendungen vor. Als neuere Methoden werden insbesondere die Choice Experiments und partizipatorische Ansätze angesprochen. Der Beitrag schließt mit einer Einschätzung der Autoren darüber, welche Bewertungsmethoden für unterschiedliche Komponenten multifunktionaler Landwirtschaft am geeignetesten sind.

Der zweite Beitrag "Verfahren zur Korrektur des Embedding-Effektes bei der Kontingenten Bewertung" von JÜRGEN MEYERHOFF bezieht sich auf ein spezielles Bewertungsverfahren, die Kontingente Bewertungsmethode, und ein dabei regelmäßig diskutiertes Problem, den sogenannten "Embedding-Effekt". Eine Variante dieser Diskussion geht davon aus, dass das Auftreten dieses Effektes zwar nicht die Ergebnisse unbrauchbar mache, aber zu einer Überschätzung führe, weil Probanden aus unterschiedlichen Gründen einen Wert angeben, der über ihrer "rationalen" Wertschätzung für das Gut liegt. Ein typischer Grund hierfür könnte z.B. sein, dass das Gut als Symbol für etwas viel Größeres und Wichtigeres aufgefasst wird und dementsprechend einen ihm gar nicht zukommenden Wert zugewiesen bekommt oder dass andere Alternativen, die einen Teil der Zahlungsbereitschaft abschöpfen würden, nicht mitgedacht werden. Meyerhoff zeigt jetzt anhand von zwei Studien auf, wie man versuchen kann, den Umfang eines solchen Embedding-Effekts abzuschätzen und entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Erweisen sich dieses oder andere in der Literatur vorgeschlagene Vorgehen als valide, so gäbe es hier eine Möglichkeit, ein bisher kaum beherrschbares Problem zumindest abzumildern.

Im dritten Beitrag "Bewertung von Landschaftsfunktionen mit Choice-Experimenten" stellen KIM SCHMITZ, P. MICHAEL SCHMITZ und TOBIAS C. WRONKA den Einsatz eines Choice Experiments zur Bewertung von Landschaftsfunktionen wie Trinkwasserqualität, Artenvielfalt, Landschaftsbild und Nahrungsmittelproduktion vor. Dabei stellen sie nicht nur die Ergebnisse ihrer Befragung dar, sondern geben auch eine kurze Einführung in die Zufallsnutzentheorie (random utility theory), die den Choice Experiments zugrunde liegt, den Annahmen, die hinter der Auswahl eines adäquaten Schätzmodells stehen, sowie eine kurze Beschreibung des Weges zur Ableitung der impliziten Preise für die Veränderung der jeweiligen Landschaftsfunktionen. Im Anschluss stellen sie dar, wie die ermittelten Preise zur Nutzenbewertung von Szenarien herangezogen werden können, die in ökologischen und hydrologischen Modellen gerechnet wurden. Unter Hinzuziehung eines betriebswirtschaftlichen Modells zeigt sich hier ein Weg zu einer integrierten ökologischen und ökonomischen Bewertung von Landschaftsszenarien.

Auch der Beitrag "Ermittlung der Nachfrage nach ökologischen Gütern der Landwirtschaft - Das Northeim-Projekt" von ANKE FISCHER, SONJA K. HESPELT und RAINER MARGGRAF stellt ein neueres Bewertungsverfahren vor. Hier wird die partizipatorische Bewertung über einen regionalen Beirat gewählt, der stellvertretend für die Bevölkerung als Nachfrager von ökologischen Gütern auftreten soll. Der Beitrag selber befasst sich allerdings vor allem mit der Frage nach der Legitimierung einer solchen "Nachfragebündelung" und wählt hierzu den Weg der "meritorischen Güter". Als eine Bedingung für die Anwendbarkeit dieses Vorgehens wird die Existenz eines ausreichend hohen Nutzens der Güter in den Augen der Bevölkerung angesehen. Die Autoren legen deshalb eine kontingente Bewertungsstudie vor, die das Vorhandensein dieser Bedingung belegt. Aus Gründen hoher Transaktionskosten wird die Durchführung von kontingenten Bewertungen jedoch nur als Grundlage für einen regionalen Beirat und nicht als Alternative zu dessen Entscheidungen angesehen.

Eine noch weitere Abkehr von den Präferenzen der Bevölkerung für die Bewertung von agrarökologischen Maßnahmen schlägt STEFAN MANN in seinem Beitrag "Die Expertenbewertung als Alternative zur Kontingenzbewertung" vor. Aus seiner Sicht liegt das größte Problem einer kontingenten Bewertung für Agrarumweltprogramme in den Anforderungen, die an die Informiertheit der Befragten gestellt werden müssen. Er argumentiert, dass die Agrarumweltprogramme sekundäre Bedürfnisse (z.B. Erhalt einer bestimmten Insektenart) befriedigen, die Bevölkerung aber maximal ihre primären Bedürfnisse (z.B. Erhalt von Artenvielfalt) bewerten kann. Expertenbefragungen entsprächen daher einer Delegation von Konsumentenentscheidungen an diejenigen, die im Besitz der notwendigen Informationen sind. Ausgehend von dieser Diagnose stellt er dann beispielhaft den Ablauf einer Expertenbewertung dar, die in zwei Sitzungen zu einer möglichst monetären Bewertung unterschiedlicher Elemente der Schweizer Agrarumweltprogramme führen sollte (aber nicht führte) und diskutiert das Vorgehen sowie Ergebnisse dieses Bewertungsversuches.

Auch Ulrich Hampicke führt in seinem Beitrag "Die monetäre Bewertung von Naturgütern zwischen ökonomischer Theorie und politischer Umsetzung" eine Reihe von Gründen an, die ihn zu einer sehr skeptischen Einschätzung veranlassen hinsichtlich der Fähigkeit von kontingenten Befragungen, den Nutzen der Individuen entsprechend der mikroökonomischen Nutzentheorie zu ermitteln. Seine Schlussfolgerung ist jedoch nicht unbedingt, an einer Verfeinerung der Methoden zu arbeiten oder neue Bewertungsverfahren zu entwickeln. Vielmehr hält er die Schwäche der kontingenten Befragung, reine Konsumentenentscheidungen zu simulieren, für eine Stärke. Denn, wenn sich die Befragten eher staatsbürgerlich verhalten, dann ist, so Hampicke, ihre Zahlungsbereitschaft Ausdruck eines politischen Willens und die Ergebnisse einer so gearteten Meinungsumfrage stellen durch ihre differenzierten und quantitativen Angaben eine wertvolle Information für die politische Entscheidungsfindung dar, die viel stärker als bisher berücksichtigt werden sollte.

Insgesamt zeigen die hier versammelten Beiträge ganz unterschiedliche Wege, mit den konstatierten Schwächen der bisherigen Bewertungsmethoden fertig zu werden. Wenn hier auch nur ein kleiner Ausschnitt der laufenden Forschung widergegeben ist, der sich zudem stark auf die direkten Methoden konzentriert, so wird doch das weite Spektrum deutlich, in dem sich die Diskussion über akzeptable Wege zur Bewertung nicht-marktfähiger Güter (auch der Landwirtschaft) heute bewegt. Von der RANDALL‘schen Forderung nach einer konsistenten Schätzung des Wertes der gesamten nicht-marktfähigen Leistung der europäischen Landwirtschaft, die dann auf die Ebene einzelner Programme und Betriebe heruntergebrochen wird, sind wir allerdings noch weit entfernt. Es ist sogar fraglich, ob die hier vorgestellten Wege überhaupt in diese Richtung weiter entwickelt werden können.

Vielleicht sollte das aber auch ein Grund sein, noch einmal grundsätzlich über konzeptionelle Grundlagen einer Bewertung nachzudenken: Was ist die politikrelevante Ebene für die Bewertung multifunktionaler Leistungen der Landwirtschaft? Würde sich das Problem der Bewertung deutlich vereinfachen, wenn Existenzwerte nicht mit in die Bewertung eingehen, wie von WEIKARD (2003) gefordert? Können wir überhaupt hoffen, z.B. für die Biodiversität einen monetären auf Bevölkerungspräferenzen basierenden Wert zu ermitteln oder ist Kosten-Effizienz das Beste, was erreichbar ist.1)
Wie können dann aber einzelnen Strategien und Programmen maximale Honorierungszahlungen zugerechnet werden? Die Bewertung nicht-marktfähiger Leistungen der Landwirtschaft verlangt das Herunterbrechen von Werten aus einem sehr viel größeren Kontext auf die Ebene einzelner Landwirte und macht damit Probleme deutlich, denen sich die Forschung zur Umweltbewertung ganz unabhängig vom landwirtschaftlichen Kontext auch in anderen Fragen stellen muss.

1) Grundlagen für eine nach Kosteneffektivität strebende Biodiversitätspolitik werden z.B. von WEITZMAN (1992) und WEIKARD (2002) vorgeschlagen.

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PROF. DR. KARIN HOLM-MÜLLER
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Agrarpolitik, Marktforschung und Wirtschaftssoziologie
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