Beratung landwirtschaftlicher Betriebe: Bund und Länder weiterhin in der Pflic

VOLKER HOFFMANN

Published: 05.09.2002  〉 Heft 7 (von 8) 2002  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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N. A.

ABSTRACT

In unserer Rechtsordnung gilt grundsätzlich das Verursacherprinzip. Schafft die Politik neue Probleme, so sollte sie sich auch an den Kosten ihrer Lösung beteiligen. Die bundesdeutsche "Agrarwende" und die ihr in vielen Bereichen tendenziell folgende EU-GAP-Reform, stellen landwirtschaftliche Betriebe in ihrer großen Mehrzahl vor die Notwendigkeit von Umstellungen und weitreichenden Anpassungen. Um in diesem Prozess erfolgreich zu sein, aber zumindest überhaupt zu überleben, brauchen viele Betriebe Orientierungshilfen und, da es sich dabei um komplexe Problemstellungen und schwerwiegende, auch menschliche Probleme handelt, personalintensive persönliche Beratung. Wird also die Gangart im Strukturwandel wieder einmal schärfer, so wird auch der Informations- und Beratungsbedarf größer. Demgegenüber steht die seit Jahren zunehmende Tendenz der meisten Bundesländer, die finanziellen Aufwendungen für landwirtschaftliche Beratung zu kürzen, ja, in einigen Bundesländern, sich sogar ganz aus der Finanzierung und Verantwortung für diesen Bereich zu verabschieden.Vorrang für Verbraucherschutz gibt es nicht zum NulltarifWenn die Agrarwende für die Mehrzahl aller Verbraucher und Wähler konsequent darauf hinweist, dass "der Schwanz nicht mit dem Hund wedeln sollte", so bedeutet dies aber auch gleichzeitig, dass die Kosten der Umstellung und die höheren Kosten der neuen Prioritäten vom Auftraggeber, also vom Verbraucher, zu finanzieren sind. Zumal bei der Mehrzahl der landwirtschaftlichen Betriebe ja schon längst keine Reserven mehr bestehen, erhöhte Kosten selbst zu tragen. Schon länger konzentriert sich die öffentliche Debatte um die Finanzierung der landwirtschaftlichen Beratung auf die Trennung in ein öffentliches und privates Interesse. Mit der Agrarwende rückt ein noch größerer Teil der Kosten unserer Landwirtschaft, einschließlich der Erhaltung der Kulturlandwirtschaft und des Naturhaushaltes in das öffentliche Interesse. Im Privatinteresse verbleiben fast ausschließlich die Betriebsmittelkosten für die landwirtschaftliche Produktion im engeren Sinne, bezogen auf die Beratung also die produktionstechnische und betriebswirtschaftliche Beratung. Dazu müssen sich die Produktpreise so einpendeln, dass sie insgesamt kostendeckend sind, d.h. auch die Kosten der produktionstechnischen und betriebswirtschaftlichen Beratung mit abdecken. Die weiteren Kosten der seitherigen Landbewirtschaftung und der Agrarwende werden sich allerdings kaum in die Produktpreise internalisieren lassen, dem steht der europäische und internationale Wettbewerb entgegen. Sie müssen deshalb vom Steuerzahler getragen werden.Die koordinierende Hand der Bundesregierung wird gebrauchtLeider ist es schon seit Jahren kaum möglich, einem interessierten Fachkollegen in kurzen Worten zu beschreiben, wie die landwirtschaftliche Beratung in Deutschland organisiert und finanziert ist. 16 Bundesländer und eine Entwicklungsgeschichte, bei der man mindestens auf das Jahr 1850 zurückgehen muss, machen jeden Erklärungsversuch unmöglich oder zu einem stundenlangen Monolog. Im Ergebnis findet sich nicht nur eine große Unüberschaubarkeit und die Notwendigkeit, Beschreibungen mindestens im Fünf-Jahresrhythmus vollständig zu überarbeiten, sondern auch eine große Variabilität in den Strukturmerkmalen und im Umfang staatlicher Finanzierungsleistungen. Letztlich auch in der Funktionalität und Effizienz, aber dazu gibt es nur punktuelle Angaben, systematische Vergleiche über Ländergrenzen hinweg fehlen.Mit der Pisa-Studie kommen Zweifel auf, ob der Föderalismus das richtige Prinzip ist, um eine flächendeckende und vergleichbar zufriedenstellende Schulausbildung in Deutschland zu gewährleisten. Dieselben Zweifel kann man auch geltend machen, was die Systeme landwirtschaftlicher Beratung in den einzelnen Bundesländern betrifft. Selbstverständlich gibt es regionale Unterschiede im Klima, in den Böden, in den Betriebsstrukturen, den Absatzmöglichkeiten, den Zulieferungsentfernungen usw. Dies verlangt nach regional angepassten Betriebssystemen ebenso wie nach regional angepassten Förderungsleistungen. Trotzdem müsste es eine Instanz geben, die koordinierend wirkt, um unvertretbare Ungleichgewichte zu verhindern. So kann es doch auf die Dauer sicher nicht gut gehen, wenn einerseits Brandenburg die Einstellung jeglicher staatlicher Finanzierung für die landwirtschaftliche Beratung verkündet und andererseits Bayern als letztes Bundesland stolz darauf ist, auch weiterhin ein bedarfs- und flächendeckendes Angebot an staatlicher landwirtschaftlicher Beratung zum Null-Tarif aufrechtzuerhalten. Oder ließe sich argumentieren, dass die brandenburgischen Betriebe so viel besser und die bayerischen so viel schlechter sind?Soviel Gleichheit wie nötig, soviel Vielfalt wie möglichDie Geschichte und der Föderalismus haben in Deutschland ein Maß an Pluralität in den landwirtschaftlichen Beratungssystemen hervorgebracht, das vermutlich weltweit seines Gleichen sucht. Es dient inzwischen vielen internationalen Experten und Entwicklungsländern als Vorbild und Leitbild. Beratung durch eine Vielzahl unterschiedlicher Träger fördert den Wettbewerb und gibt den Klienten Auswahlmöglichkeit und dadurch eine größere Chance zur Befriedigung des Bedarfs. Dieses Pluralitätsmodell funktioniert allerdings nur, wenn zu fairen Wettbewerbsbedingungen konkurriert wird. Ein kostenloses Angebot der Offizialberatung ) verhindert seit vielen Jahren die Entstehung einer leistungsfähigen und überlebensfähigen privaten Beratung. In vier der neuen Bundesländer, die entweder gleich oder so wie Thüringen nach einer gewissen Anlaufszeit auf das Pferd private Beratung gesetzt haben, ist dieses inzwischen vom Hungertod bedroht, weil die ursprünglich 80 %ige Bezuschussung der Beratungskosten kontinuierlich zurückgefahren wurde und in Brandenburg schon bei null angekommen ist.Gutschein-Finanzierung, die dem Wettbewerbsmodell in idealer Weise förderlich ist, passte leider nicht in die bestehenden EU-Förderprogramme, und sie wurde deshalb in Sachsen-Anhalt wieder aufgegeben, um die 50 % EU-Finanzierung zu erhalten.. Druck auf die EU zu machen, erscheint allerdings für ein einzelnes Bundesland wenig Erfolg versprechend. Wollte man die Gutscheinförderung in der EU salonfähig machen, müsste man zumindest auch in ganz Deutschland eine Absicht haben, sie einzuführen. Eine Kombination von Bezuschussung der Ringberatung ) und von Gutschein-Lösungen zusammen mit ausgeschriebenen Beratungsprogrammen für Beratungsaufgaben im öffentlichen Interesse könnte ein zufriedenstellendes Konzept für die Zukunft sein. Solche Lösungen zu identifizieren und dann bundesweit zu installieren, ruft nach der koordinierenden Hand des Bundes. Ein jährliches Erfahrungsaustauschs-Treffen der Beratungsreferenten oder der mit der Beraterfortbildung Beauftragten, ist da aber zu wenig. Das Mindeste wäre ein Gremium vergleichbar der Kultusministerkonferenz, das dann auch Beschlusskraft hat. Da die Durchsetzungskraft in der Folge der Pisa-Studie bei der Kultusministerkonferenz schon bezweifelt wird, wäre zu überlegen, inwieweit die Koordinationsfunktion des Bundes in einem solchen Gremium besser zur Wirkung gebracht werden könnte.Berateranerkennung und BeraterqualifikationPrivate Berater oder Beratungsfirmen, die in den Genuss staatlicher Zuschüsse kommen wollen, sei es direkt oder indirekt über Gutschein-Erstattungssysteme in der Hand ihrer Klienten, müssen staatlich anerkannt sein. Eine solche Anerkennung erteilt in den neuen Bundesländern, die solche Erstattungsprogramme eingerichtet haben, das Landwirtschaftsministerium. Folgerichtig gelten sie dann nur für das jeweilige Bundesland. Grenzüberschreitender "Beratungs-Verkehr" wird dadurch unnötig erschwert. Dass es dafür durchaus einen Bedarf und eine Nachfrage gibt, zeigt die Inanspruchnahme von Privatberatern und Beratungsfirmen in Sachsen, obwohl dort auch noch kostenfreie Offizialberatung besteht. Die erste Anerkennung wurde noch zentral von der DLG vorgenommen und die inzwischen entwickelten Kriterien der einzelnen Bundesländer sind zumindest sehr ähnlich. Warum sich also nicht auf einen bundeseinheitlichen Satz von Kriterien und eine bundesweite Anerkennung einigen? Und warum schließlich sollten nicht auch die Leistungen von Beratern aus Nachbarländern z.B. von Spezialisten aus Holland, staatlich bezuschusst werden können? Letztlich wäre also eine europaweite Anerkennung von Beratern und Beratungsfirmen zweckmäßig. Auf gleichem Niveau wären dann auch Beschwerdestellen zu führen, denn wo anerkannt wird, muss auch aberkannt werden können.Die meisten Bundesländer haben inzwischen ihr Seminar oder ihre Akademie für die Beraterfortbildung aufgegeben. Insbesondere im Bereich der methodischen Qualifizierung, z.T. aber auch für das Referendariat, kommt in den meisten Jahren keine kritische Masse für den Ausbildungskurs mehr zusammen. Daneben wächst die Zahl der Ringberater kontinuierlich, und es bleibt derzeit jedem Ring selbst überlassen, eine Einführung in die Berufsarbeit bei Anfängern und eine geeignete Weiterbildung zu finden und zu finanzieren. Hier wäre eine bundesweite Initiative ebenfalls mehr als sinnvoll. Wahrscheinlich wäre der AID in Bonn die geeignete Einrichtung, eine "rollende Akademie" für die Berateraus- und -fortbildung zu betreiben. Die mobile Akademie hätte ein Koordinationsbüro in der AID-Zentrale und würde die Durchführung der Aus- und Fortbildungsangebote dann dezentral organisieren, stets dort in der Nähe, wo die Mehrzahl der Teilnehmer herkommt. Damit käme nicht nur wieder genügend kritische Masse zusammen, sondern auch eine kontinuierliche Evaluierung der Aus- und Fortbildungsarbeit könnte Qualität wieder sicherstellen und dies würde nicht nur "Klassenzimmerkurse" betreffen, sondern auch ein On-the-job-Training mit begleitender Supervision. Problemfeld OffizialberatungObwohl es schon seit Jahren kein Geheimnis mehr ist, dass Offizialberatung mit Fachgliederung durch den Rollenkonflikt der Berater hochgradig effizienz-behindert ist, werden auch heute noch nicht alle Möglichkeiten genutzt, den Rollenkonflikt abzuschaffen. Erste Lösungsstufe wäre die Trennung von einem Arbeitsbezirk mit Kontrollaufgaben und einem Arbeitsbezirk mit Beratungsaufgaben. Ein Berater wird dann gegenüber demselben Klienten nicht beide Aufgaben übernehmen. Die allgemeinere Lösung des Problems bedeutet die Umstellung auf Funktionsgliederung. Wenn jemand Berater ist, so arbeitet er nur als Berater und übernimmt keine "beratungsfremden" Aufgaben. Die Kammer Westfalen-Lippe praktiziert dies schon jahrzehntelang, Bayern hat in den 80iger Jahren darauf umgestellt und die neuen Bundesländer Thüringen und Sachsen, die Offizialberatung eingerichtet haben, haben dieses Prinzip übernommen. Es kommt dem Vertrauensverhältnis zu den Klienten zugute, ohne das effiziente Beratung nicht längerfristig überleben kann. Warum also werden Beratungs- und Kontrollaufgaben nicht überall so getrennt? Weil man Stellenstreichung befürchtet, und weil Kontrolleure weniger leicht gestrichen werden können als Beraterstellen.Aber nicht nur der Rollenkonflikt dämpft die Effizienz der Beratungsarbeit im Modell der Offizialberatung, auch das öffentliche Dienst- und Haushaltsrecht erweist sich wiederkehrend als starke Behinderung. Man kann so beispielhaft davon sprechen, dass Offizialberater mit Handschellen und Fußfesseln in den Wettbewerb mit privaten Beratern treten sollen. Das kann natürlich nicht gut gehen. Öffentliches Dienst- und Haushaltsrecht sind für Administration, also die Durchführung hoheitlicher Aufgaben, die Anwendung und den Vollzug der Gesetze gegenüber dem Bürger bei maximaler Gleichbehandlung geschaffen worden. Für diese eigentliche Aufgabe der "Bürokratie" sind sie auch bis heute durch kein anderes Organisationssystem gleichwertig zu ersetzten. Für Dienstleistung und Produktion sind sie jedoch denkbar untauglich, letztes aktuelles Beispiel dafür war die Bundesanstalt für Arbeit. Wenn es trotzdem in der Offizialberatung gute und erfolgreiche Berater gibt, so spricht dies für die Berater, aber nicht für die Anwendung von öffentlichem Dienst- und Haushaltsrecht bei ihrer Beschäftigung. Das vernünftige Modell wäre private Rechtsform, also beispielsweise GmbH, wie im Beispiel der LandberatungsGmbH Mecklenburg-Vorpommern. Der Staat oder die Kammer kann dabei trotzdem Eigentümer bleiben, gibt der Beratungsorganisation bzw. der DienstleistungsGmbH aber eine eigene Trägerschaft mit privater Rechtsform, in der dann öffentliches Dienst- und Haushaltsrecht außer Kraft gesetzt sind, was eine Voraussetzung darstellt, im Wettbewerb mit privaten Beratern und Beratungsfirmen bestehen zu können. Obwohl diese Tatsache schon über 10 Jahre diskutiert wird und im Prinzip von allen Beteiligten anerkannt ist, hat sich in den alten Bundesländern mit Offizialberatung in dieser Hinsicht so gut wie nichts getan. Schafft man wie in Schleswig-Holstein den größten Teil der Offizialberatungsangebote durch Streichung der Finanzierung praktisch ab, so ist dies zwar auch eine Lösung, führt aber keinesfalls in die erwünschte Richtung. Man könnte es auch als die Quittung einer entschlossenen Landesregierung verstehen, die sie ihrer Landwirtschaftkammer für mangelnde eigene Reformfähigkeit gibt. In Nordrhein-Westfalen ist die Fusion der beiden Landwirtschaftskammern nun zumindest beschlossen, in Niedersachsen wehrt man sich noch. Offensichtlich besteht ein großes Problem der Besitzstandswahrung und der Veränderungsscheu bei den Beschäftigten und damit verbunden, der Mitsprache des Personalrats bei Organisationsveränderungen. Auch hier wäre eine bundesweite Initiative unter Nutzung der Erfahrung aus anderen Privatisierungen öffentlicher Betriebe sicher nützlich, um das nun schon mehr als peinliche Auf-der-Stelle-Treten in den betroffenen Bundesländern endlich zu durchbrechen.
Natürlich könnte man diesen Forderungen noch vieles hinzufügen und sie im Detail weit eingehender erläutern und belegen, dies steht einem Leitartikel aber nicht an und ist an anderen Stellen auch schon ausgiebig geschehen. "Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen". Im Bereich der Beratung landwirtschaftlicher Betriebe und Familien gibt es einen großen Reformstau, der schon lange danach ruft, endlich fachgerecht aufgelöst zu werden. Zum Wohle der Verbraucher und des notleidenden Teils unserer Landwirtschaft. Andernfalls sind wir für die Zukunft schlecht gerüstet.

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Prof. Dr. VOLKER HOFFMANN, Institut für Sozialwissenschaften des Agrarbereichs, Professur für Landwirtschaftliche Kommunikations- und Beratungslehre, Universität Hohenheim (430), D-70593 Stuttgart
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