50 Jahre Agrarwirtschaft

H. EBERHARD BUCHHOLZ

Published: 27.11.2001  〉 Heft 8 (von 8) 2001  〉 Resort: Article  〉  Deutsch
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DOI:
N. A.

ABSTRACT

Mit dem Erscheinen dieses Heftes liegen 50 Jahresbände der Agrarwirtschaft vor. Die Zeitschrift wurde 1952 von den Professoren WILHELM BUSCH, EMIL WOERMANN, ARTHUR HANAU und HEINRICH NIEHAUS gemeinsam mit dem Verleger ALFRED STROTHE gegründet und führte den Untertitel Zeitschrift für Betriebswirtschaft und Marktforschung. Bereits in den programmatischen Zielen haben die Gründungsherausgeber ausgeführt, dass die Betriebs- und Marktwirtschaftsfragen nur vor dem Hintergrund der sozialen und rechtlichen Zustände beurteilt werden könnten und daher die Eigentumsverteilung, das Pachtwesen, die Arbeitsverfassung, das Kredit- und das Steuerwesen zu berücksichtigen seien. Aber erst 1970 wurde die Agrarpolitik explizit in den Untertitel aufgenommen. Somit deckt die Agrarwirtschaft alle agrarökonomischen Fächer ab und gilt als die Zeitschrift für Agrarökonomie in Deutschland.
Die Land- und Ernährungswirtschaft hat in den zurückliegenden fünfzig Jahren tiefgreifende Veränderungen erfahren. Besonders augenfällig waren der dramatische Rückgang der Zahl der Betriebe und der Arbeitskräfte, begleitet von der schnellen Absorption technischer und organisatorischer Fortschritte in der Pflanzen- und Tierproduktion und den damit verbundenen Erzeugungssteigerungen. Nicht weniger von Bedeutung waren die fortdauernden strukturellen Veränderungen in der Vermarktung, bei der Verarbeitung und beim Nahrungsmittelverbrauch, die vermehrte Bewusstseinsbildung für ökologische und umweltpolitische Belange, die mit der Bildung des europäischen Agrarmarktes einhergehenden Probleme und schließlich die zunehmende Verbreitung bisher in der hiesigen Landwirtschaft wenig gebräuchlicher Betriebs- und Rechtsformen im Gefolge der deutschen Vereinigung.
Als wissenschaftliches Sprachrohr der deutschen Agrarökonomen sind in den Beiträgen der Agrarwirtschaft die angesprochenen Umbrüche in der Land- und Ernährungswirtschaft dokumentiert, analysiert und in weiten Teilen auch prognostiziert worden. Dabei hat die Zeitschrift selbst deutliche Wandlungen erlebt.
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass die Agrarwirtschaft trotz der 50 Jahre im Vergleich zu den agrarökonomischen Zeitschriften benachbarter europäischer Länder, vor allem aber auch der USA, eine relativ junge Zeitschrift ist. Das Journal of Agricultural Economics (VK), die Economie Rurale (Frankreich) und auch die Rivista di Economia Agraria (Italien) existieren schon länger. Das American Journal of Agricultural Economics erscheint sogar schon im 83. Jahrgang. Während zum anderen die genannten ausländischen Zeitschriften für Agrarökonomie von den jeweiligen nationalen agrarökonomischen Gesellschaften gegründet wurden und getragen werden, ging das Erscheinen der Agrarwirtschaft auf die Initiative einzelner wissenschaftlicher Persönlichkeiten zurück, aus dem einfachen Grund, weil es zu jener Zeit noch keine agrarökonomische Gesellschaft in Deutschland gab. Bei der sozusagen privaten Trägerschaft ist es, dank der guten Betreuung durch den Alfred Strothe Verlag und seit 1999 den Deutschen Fachverlag, bis heute geblieben. Dies auch deshalb, weil aufgrund der engen Kontakte zur Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues (GeWiSoLa) die Notwendigkeit für eine grundlegende Änderung sich noch nicht gestellt hat.
Die inhaltliche Gestaltung der Zeitschrift war in den ersten Jahren ihres Bestehens vor allem auf die agrarwirtschaftlichen Sachfragen und die sie begleitenden agrarpolitischen Gestaltungsmaßnahmen gerichtet. Hierfür bestand angesichts der fragilen Versorgungslage mit Nahrungsgütern zu Anfang der 50er Jahre in Deutschland ein hoher Bedarf. Zudem begann aufgrund der historischen Entwicklung erst zu jener Zeit der Umschwung von einer Wirtschaftslehre des Landbaus zur Entstehung einer eigenständigen Agrarökonomie als angewandte Wirtschaftswissenschaft (REISCH, 2000, S. 411 f.). In Lehre und Forschung bestand ein erheblicher Nachholbedarf im Hinblick auf die neuen agrarökonomischen Lehrmeinungen, der seinen Niederschlag auch in den Veröffentlichungen in der Agrarwirtschaft fand. Es setzten vermehrt theoretisch fundierte und analytisch ausgerichtete Beiträge ein, die auf eine Ursachen bezogene, häufig auch quantitativ dargestellte Erklärung der realwirtschaftlichen Vorgänge abzielten, um damit zur Verbesserung von Entscheidungsgrundlagen beizutragen. Im einzelnen sind die Inhalte und Wandlungen der agrarwirtschaftlichen Probleme und ihrer Darstellung in der Agrarwirtschaft während der ersten 25 Jahre in Heft 1, 1977 von vier Autoren für die Fachgebiete Betriebswirtschaft, Marktforschung. Gartenbauökonomie und Agrarpolitik nachgezeichnet worden. Die von den Autoren dabei gegebenen Anregungen zur Beseitigung bestehender Defizite, wie den Wünschen nach weiterer Diversifizierung der behandelten Themen, regelmäßiger agrarpolitischer Berichterstattung und der Aufnahme zukunftsträchtiger neuer Forschungsansätze bei gleichzeitiger Orientierung an aktuellen Bedürfnissen der Abnehmer von Forschungsergebnissen in Praxis, Beratung und Verwaltung, sind in den folgenden Jahren nach und nach berücksichtigt worden.
So ist die anhaltende Debatte über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik im Detail mitverfolgt worden. Die oft nur schwer nachvollziehbaren Variationen des Währungsausgleichs waren zeitweilig Dauerthema. Zur Entwicklung von Welternährung und Weltagrarhandel, ebenso wie von Ernährungsindustrie, Lebensmittelhandel und Verbraucherverhalten wurde regelmäßig Stellung genommen. Die Neuausrichtung der Landwirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern hat in einer Fülle von Beiträgen ihren Niederschlag gefunden. Besteuerung, Bewertungs- und Rechtsfragen wurden behandelt und auch die Agrarsoziologie ist zu Wort gekommen. Es zeigte sich aber auch weiterhin, und möglicherweise verstärkt, das Dilemma, dass die Entwicklungen in der Wissenschaft und in den Forschungsprogrammen und die Anforderungen der Abnehmer von Forschungsergebnissen allmählich auseinanderdriften. Dafür gibt es Gründe. Eine nur in größeren Abständen erscheinende Zeitschrift ist für die laufende Stellungnahme zu aktuellen Problemen nicht gerade prädestiniert. Die in den Forschungsmethoden unumgänglichen Ableitungen und die dabei verwendete Formelsprache stoßen bei Teilen der Leserschaft auf nur geringe Akzeptanz. Schließlich kann in einer der wissenschaftlichen Forschung verpflichteten Zeitschrift auch nur das gebracht werden, was von der betreffenden Forschungsdisziplin erarbeitet wurde. Der Trend, so hat es den Anschein, geht hin zu einer stärkeren Betonung der theoretischen und methodischen Aspekte in den Veröffentlichungen. Die Entscheidung zur expliziten Verwendung des Peer-Review-Verfahrens bei der Beurteilung der eingehenden Manuskripte deutet zudem darauf hin, dass das auch so gewollt ist. Das hat natürlich zur Folge, dass die Bezieher der Agrarwirtschaft im In- und Ausland sich immer mehr auf den wissenschaftlich interessierten Kern der Leserschaft konzentrieren. Gleichzeitig zeigen sich allerdings auch aus anderen Gründen und bei wissenschaftlichen Zeitschriften generell, Umbrüche im Bezugs- und Leseverhalten. Beispielsweise hatte das renommierte American Journal of Agricultural Economics im Zeitraum von 1990-1997 einen Rückgang der abgesetzten Auflage von 6307 auf 4292 Exemplare, also um 32 % zu verzeichnen, wobei die höchste Abnahmerate (-50 %) ausgerechnet bei den jüngeren Lesern aufgetreten ist (AJAE,1998). Um den damit verbundenen Konsequenzen entgegenzuwirken, insbesondere auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Grundlagen der Agrarwirtschaft, musste versucht werden, neue Akzente zu setzen. Ergebnis solcher Bemühungen waren: Die häufigere Herausgabe von Themenheften, die Öffnung für englischsprachige Beiträge, die Veränderungen in der Erscheinungsweise bei Aufrechterhaltung des Umfangs der Jahresbände, die Stiftung eines Förderpreises und die verstärkte Zusammenarbeit mit der GeWiSoLa.
Trotz solcher Maßnahmen bleiben Fragen offen, sowohl hinsichtlich der technischen wie auch der inhaltlichen Weiterführung und Gestaltung dieser Zeitschrift. Die technischen Fragen ergeben sich vor allem aus den bereits vorhandenen und den zu erwartenden Entwicklungen der Informationstechnologie. Die inhaltliche Gestaltung wird von den Veränderungen in Lehre und Forschung in den agrarökonomischen Disziplinen bestimmt.
Die informationstechnologischen Perspektiven für das Publikationswesen nehmen sich in der Tat beeindruckend aus. Von interessierter Seite kursieren Prognosen des Inhalts, dass etwa ab 2005 mehr Mittel in digitale Periodika fließen würden als in gedruckte, ab 2010 immer mehr Printausgaben ganz eingestellt, und 2020 gedruckte Zeitungen und Zeitschriften nur noch in einigen Nischenbereichen erscheinen würden (ZIMMER, 2000). Die Vorteile elektronischer Informationsvermittlung scheinen unschlagbar. Im Druckgewerbe werden sie ja auch ausgiebig genutzt und haben große Rationalisierungen ermöglicht. Dennoch sind Zweifel erlaubt, ob es zu einem völligen Verzicht auf gedruckte Zeitschriften (oder auch Bücher) kommen wird. Das Internet bietet zwar hervorragende Möglichkeiten, die wissenschaftliche Kommunikation voranzubringen. Aber hinsichtlich wissenschaftlicher Publikation gibt es auch gravierende Nachteile und wichtige noch ungelöste Probleme. Hierzu einige Anmerkungen.
Elektronische Veröffentlichungen sind schnell und flexibel und vielleicht auch kostengünstig, aber es fehlt die Zuverlässigkeit und Beständigkeit. Bei ZIMMER (2000, S. 82) heißt es: "Niemand kann sicher sein, dass er ein bestimmtes Dokument bei einem Host je wiederfindet, oder voraussagen, wie lange es den ganzen Host noch gibt. Jeder kann jedes Dokument auf das er Zugriff hat, beliebig weiterverbreiten und collagieren. Nie kann der Leser im Netz sicher sein, wer der wirkliche Urheber einer Information ist." Damit ist auch die Frage, wie urheberrechtlich geschützte Literatur im Internet angeboten werden kann, ungelöst. Jeder ins Internet gestellte Text riskiert, jeden Urheberschutz zu unterlaufen, denn ein allgemein akzeptiertes Schutzverfahren gegen elektronische Piraterie gibt es nicht. Hinzu kommt, dass der freizügige Zugang zu jeglicher Information als fester Bestandteil der Internet-Kultur sich nicht aufrecht erhalten lassen wird (ZIMMER, 2000, S. 87). Die Redaktion einer Zeitschrift kostet Geld, gleichgültig, ob sie gedruckt wird oder ob sie elektronisch erscheint. Solange aber, wie es bisher meistens der Fall ist, beides parallel gehandhabt wird, macht es alles noch teurer. Das hatten sich die Befürworter des elektronischen Publizierens wohl kaum so vorgestellt. Bleibt die Frage, wer die Kosten zu tragen hat.
Unter den deutschen Agrarökonomen gibt es derzeit lebhafte Diskussionen und wohl auch Meinungsverschiedenheiten über die zukünftigen Ziele und Aufgaben ihrer Profession. Dahinter steht die unübersehbar geringer gewordene gesellschaftliche Akzeptanz von allem, was mit Landwirtschaft und Ernährung im Zusammenhang steht. Dieses Phänomen ist weitgehend auf Fehler und Versäumnisse der staatlichen Agrarpolitik zurückzuführen. Zwar haben Agrarökonomen seit Jahrzehnten vor den zutage getretenen Fehlentwicklungen gewarnt, aber das hilft ihnen nun auch nichts. Dem Imageverlust der gesamten Branche können auch sie sich nicht entziehen. In mehreren Zusammenkünften von Ökonomen aus allen Agrarfakultäten und aus Bundesforschungsanstalten wurde vor kurzem eine Bestandsaufnahme der Situation versucht (von URFF, 2001). Beklagt wurde dabei vor allem eine zu geringe Wahrnehmung des breiten Spektrums der agrarökonomischen Forschung in der Öffentlichkeit, eine beginnende Benachteiligung von Agrarfakultäten innerhalb der Universitäten, mitverursacht von rückläufigen Studentenzahlen und resultierend in Stellenkürzungen und geringeren Mittelzuweisungen, eine Zersplitterung der Forschung und damit auch der externen Forschungsförderung, die Zunahme von Verwaltungsaufgaben, sowie Defizite in manchen Ausbildungsgängen. Vorschläge zur Abhilfe konzentrierten sich, außer auf Überlegungen zu strukturellen Veränderungen, auf die Notwendigkeit verstärkter interdisziplinärer Zusammenarbeit vor allem auch mit den Grundlagenfächern der Human- und Gesellschaftswissenschaften (ZACHARIASSE, 2001) sowie auf eine engere internationale Forschungskooperation. Mit zeitlicher Verzögerung zeigt sich hier eine Parallelität zur Situation der Agrarökonomie in den USA, wo solche Diskussionen bereits vor mehr als zehn Jahren eingesetzt haben (JUST und RAUSSER, 1993). Hier wie dort liegen die Handlungsoptionen entweder in der Beschränkung auf den Forschungsbedarf eines relativ engen und zudem schrumpfenden Wirtschaftssektors oder in der Expansion in Richtung auf die Verstärkung einer breit angelegten empirischen Wirtschaftsforschung, die auf die differenzierten Bedürfnisse unserer komplexen Gesellschaft ausgerichtet ist.
In diesem Rahmen wird sich die Agrarwirtschaft fortentwickeln müssen. Mit Phantasie und Durchsetzungskraft dürfte jedoch den kommenden Herausforderungen gerecht zu werden sein, so dass der Blick auf die nächsten 25 Jahre durchaus von Zuversicht geprägt ist.

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Dr. H. EBERHARD BUCHHOLZ, Ltd. Direktor und Professor a.D., Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
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